Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Vor geplanter Abstimmung

Showdown zur Suizidhilfe gerät ins Wanken

Kritik an Bundestag wegen „Hauruck-Verfahren“ nimmt weiter zu – Unionsfraktionsführung regt Verschiebung an.
Statement vor der CDU/ CSU Fraktionssitzung des Bundestag
Foto: Jens Krick (Flashpic) | Laut CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt werde die Union noch im Laufe des Dienstags auf die Parteien der Ampelkoalition zugehen und diese um eine Verschiebung der Debatte zur Suizidhilfe bitten.

Die für Donnerstagmorgen auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestags stehende Zweite und Dritte Lesung der beiden Gesetzesentwürfe zur rechtlichen Neuregelung der Suizidhilfe gerät weiter unter Druck. Wie die Deutsche Presseagentur (dpa) am Dienstag meldete, dränge die Spitze der Unionsfraktion inzwischen auf eine Verschiebung der abschließenden Beratungen. Demnach erklärte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt am Dienstag vor Journalisten in Berlin, es gebe keine Notwendigkeit, dies in einer Situation zu tun, von der er glaube, dass die Öffentlichkeit darauf gar nicht vorbereitet sei. Laut Dobrindt werde die Union noch im Laufe des Tages auf die Parteien der Ampelkoalition zugehen und diese um eine Verschiebung der Debatte bitten.

Landesärztekammern: Suizidprävention muss Vorrang vor Suizidhilfe haben

Unterdessen warnen mehrere Landesärztekammern den Bundestag vor einer übereilten Abstimmung. So erklärte heute der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke: „Ein Gesetz mit so weitreichenden Folgen für unsere Gesellschaft kann nicht in einem solchen Hauruck-Verfahren ohne gründliche öffentliche Debatte verabschiedet werden. Eine gründliche Befassung mit den derzeit vorliegenden Gesetzentwürfen habe nicht erfolgen können, da erst Mitte Juni zwei Gesetzentwürfe zu einem neuen Entwurf fusioniert worden seien. Selbst auf der Webseite des Deutschen Bundestages seien nicht einmal die zur Abstimmung stehenden Gesetze richtig aufgeführt.

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Bevor das Parlament über die Hilfe zur Selbsttötung entscheidet, sollte zudem zunächst einmal die Suizidprävention ausgebaut werden.“ Suizidgedanken hätten „eine Vielzahl individueller und gesellschaftlicher Ursachen“. Eine wesentliche Rolle spielten dabei „psychische Störungen und Krisen“. Der Wunsch, sich das Leben zu nehmen, verändere sich mit den Erfahrungen in zwischenmenschlichen Beziehungen. Deshalb gelte es zu verhindern, „dass in Zukunft Unterstützung beim Suizid leichter zugänglich sei als Angebote der Suizidprävention“, so Henke.

Die Landesärztekammer des Freistaates Sachsen den Bundestagsabgeordneten „die Ablehnung sämtlicher derzeit vorliegender Gesetzesentwürfe zur Suizidhilfe“. Ihr Präsident, Erik Bodendieck, betonte am Dienstag in einer Pressemitteilung, durch eine gesetzliche Regelung dürfe nicht der Eindruck entstehen, Ärzte seien zur Suizidhilfe verpflichtet. „Jede Ärztin, jeder Arzt kann und muss frei entscheiden, ob er Suizidhilfe leistet, oder nicht“. Zudem müssten zuerst „die Suizidprävention, wie auch die Palliativ- und Hospizversorgung maßgeblich ausgebaut und die dafür notwendigen Mittel auch zu Verfügung gestellt werden, bevor mit viel Geld und immensen bürokratischen Aufwand zusätzliche Strukturen und Regeln für eine Suizidhilfe aufgestellt werden“. Bodendieck kritisierte auch „die mangelnde Einbeziehung der Ärztinnen und Ärzte in den Gesetzgebungsprozess“.

Verband katholischer Altenhilfe: Suizidhilfe nicht normalisieren

 „Die Suizidbeihilfe darf nicht ohne die Suizidprävention geregelt werden.“ Diese Auffassung vertritt laut den Worten ihrer Vorsitzenden, Barbara Dietrich-Schleicher, der Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD), In einer Pressemitteilung warnte der VKAD am Dienstag zudem vor einer schleichenden Normalisierung der Suizidassistenz. „Die Mitarbeitenden in unseren Pflegeheimen tun alles dafür, um Menschen in ihrer letzten Lebensphase ein würdevolles Leben und Sterben zu ermöglichen. Sie leisten umfassende Pflege, beraten zur palliativen Versorgung und arbeiten gemeinsam mit ambulanten Hospizdiensten. Mitarbeitende sollten nicht mit der Verantwortung allein gelassen werden, assistierten Suizid in den Pflegeheimen unterstützen zu müssen.“

In einer immer älter werdenden Gesellschaft würden auch immer mehr Menschen „pflegebedürftig und abhängig von anderen“ werden. Daher dürfe „durch niedrige Hürden bei der Sterbehilfe auf alte und mehrfach erkrankte alte Menschen“ kein Druck ausgeübt werden, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden. „Um die Betreuung in der Sterbephase individueller gestalten zu können“, benötigten Pflegeheime „für diese Zeit eine personelle Ausstattung analog der Hospizversorgung“, so Dietrich-Schleicher.

Lebensrechtler kündigen Demo vor dem Bundestag an

Der Bundesverband Lebensrecht (BVL) kündigte an, am Donnerstag mit einer „Trauerdemonstration“ Abschied vom „humanen Rechtsstaat“ nehmen zu wollen und bat die Demonstranten in schwarzer Kleidung vor dem Eingang des Paul-Löbe-Hauses (Beginn: 8.30 Uhr) zu erscheinen. „Eine gründliche Befassung des Parlaments mit dieser zentralen Frage des gesellschaftlichen Lebens ist in einer solchen Hauruck-Aktion gar nicht möglich“, kritisierte der Münsteraner Professor und Labormediziner Paul Cullen, Vorstandsmitglied des Bundesverbands Lebensrecht, die geplante Abstimmung im Bundestag. Ein humaner Staat werde alles dafür tun, um einen Suizid durch die Unterstützung engagierter Angehöriger, durch lebensbejahende Angebote und individuelle Hilfe zu verhindern und niemals etwas, um die Tötung von Menschen zu billigen und zu fördern. „Die Geringschätzung des menschlichen Lebens und die technokratische Kälte gegenüber menschlichem Leid, die in dieser Aktion im Bundestag aber sichtbar werden, verschlagen selbst mir, der ich in Sachen Lebensrecht einiges gewohnt bin, den Atem“, so Cullen. „Deshalb werden wir von der Idee eines humanen Rechtsstaates, der das Leben aller Bürger wertschätzt und schützt, mit einer Trauerdemonstration Abschied nehmen.“  DT/reh

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