Nach der Veröffentlichung der wissenschaftlichen Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) hat das katholische Hilfswerk Renovabis in einer Pressemitteilung die grundlegende Neuausrichtung der deutschen Prostitutionspolitik gefordert. Die am Dienstag vorgelegte Studie war im Auftrag des Bundesfamilienministeriums vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) erstellt worden.
„Die Evaluation macht deutlich: Das derzeitige System versagt darin, die Schwächsten wirksam zu schützen“, erklärte Renovabis-Hauptgeschäftsführer Thomas Schwartz. Zwar gesteht die Untersuchung dem Gesetz einzelne Fortschritte zu, doch bleiben nach Einschätzung des Hilfswerks gravierende Schutzlücken bestehen – vor allem für Frauen aus Mittel- und Osteuropa, die unter Zwang, Druck oder Täuschung in die Prostitution geraten.
Renovabis fordert deshalb eine „radikale Wende“ und plädiert für die Einführung des sogenannten Nordischen Modells. Dieses sieht vor, den Kauf sogenannter „sexueller Dienstleistungen“ sowie deren organisierte Vermittlung unter Strafe zu stellen, während Prostituierte selbst entkriminalisiert und beim Ausstieg unterstützt werden. In Ländern wie Schweden, Norwegen und Frankreich sei dieses Modell bereits gesetzlich verankert, mit nachweislich positiven Effekten, so Schwartz.
Expertenkommission soll eingesetzt werden
Im Rahmen seiner diesjährigen Jahresaktion mit dem Titel „Voll der Würde. Menschen stärken im Osten Europas“ macht das Hilfswerk auf die schwierige Lage von Frauen aufmerksam, die oft in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland kommen und stattdessen in ausbeuterischen Abhängigkeitsverhältnissen landen. Laut Renovabis werde Deutschland seiner Verantwortung als Hauptzielland für Menschenhandel bislang nicht gerecht.
Das Bundesfamilienministerium kündigte in einer Pressemitteilung an, auf Grundlage der Evaluation eine unabhängige Expertenkommission einzusetzen. Diese solle Empfehlungen für den weiteren gesetzgeberischen Umgang mit Prostitution entwickeln. Der Schutz vor Zwangsprostitution und sexueller Ausbeutung sowie die Rechte der Betroffenen seien dabei zentrale Anliegen, so Familienministerin Karin Prien.
Die Evaluation bezieht sich auf Daten aus mehreren Jahren und basiert auf Befragungen von mehr als 2.000 Prostituierten, rund 800 Behördenmitarbeitern, 3.400 „Kundinnen und Kunden“ und 280 „Prostitutionsgewerbetreibenden“. Insgesamt zeigt die Studie ein ambivalentes Bild: Während einzelne Maßnahmen Wirkung zeigen, bleibt die Lebenswirklichkeit vieler Betroffener von Unsicherheit, Ausbeutung und struktureller Not geprägt. DT/jna
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