So schlimm diskriminiert wurde in Deutschland noch nie. So zumindest könnte man die neuesten Zahlen der 2006 gegründeten Antidiskriminierungsstelle des Bundes deuten: über 8.000 Menschen meldeten sich 2022, um sich angesichts erfahrener Diskriminierung beraten zu lassen. 14 Prozent mehr als im Vorjahr! Ferda Ataman, die die Antidiskriminierungsstelle seit etwa einem Jahr leitet, konnte den Zahlen, die sie anlässlich der Vorstellung des Jahresberichts am gestrigen Dienstag verkünden durfte, aber auch etwas Gutes abgewinnen. Dass immer mehr Menschen bei ihrer Stelle anfragten, bedeute, dass ein gesellschaftlicher Reifungsprozess eingesetzt habe: Immer mehr Menschen hätten den Mut, Diskriminierung anzusprechen und sich ihrer Rechte bewusst zu werden. Auch sei einer großen Mehrheit in der Gesellschaft mittlerweile klar, dass Antidiskriminierungspolitik wichtig sei, sagte Ataman mit Verweis auf eine Bertelsmann-Studie: „Antidiskriminierung spaltet nicht, sie vereint“.
Diskriminiert zu werden, ist keine schöne Erfahrung. Eine Wohnung oder einen Job aufgrund eines ausländisch klingenden Nachnamens oder einer Behinderung nicht zu bekommen, verletzt, und stellt eine handfeste Benachteiligung dar. Für viele Menschen in Deutschland sind Diskriminierungserfahrungen Realität. Was aus diesem wohl unstrittigen Befund aber abzuleiten ist, ist eine ganz andere Frage. Denn es gibt Dinge, die ein liberaler Rechtsstaat schlechterdings nicht erzwingen sollte.
Infantilisierung statt Reifung
Die Vision einer per Gesetz von Diskriminierung befreiten Gesellschaft, wie sie Ataman vielleicht vorschwebt, wenn sie verschärfte Regelungen fordert, ist auch die eines immer übergriffigeren Staates. Und damit nicht die eines gesellschaftlichen Reifungsprozesses, sondern eines Infantilisierungsprozesses. Es ist kein Fortschritt, wenn Bürger bei jeder persönlichen Zurücksetzung sofort überlegen, ob sie nicht vielleicht in irgendeine Opferkategorie fallen, um postwendend beim Staat die Korrektur jeder Ungerechtigkeit einzufordern. Gerade dem emanzipativen Gedanken, sich die Lösung von Problemen selbst zuzutrauen, läuft diese Haltung diametral entgegen. Wer hinter jedem schiefen Blick Rassismus erwartet, der wird sich eher als machtlos und diskriminiert erfahren als einer, der mit Vertrauensvorschuss auf seine Mitmenschen zugeht – ein Phänomen, das unter dem Stichwort „confirmation bias“, zu Deutsch „Bestätigungsfehler“ hinlänglich bekannt ist. Ob die einseitige Fokussierung auf Antidiskriminierung also nicht doch eher zur Spaltung beiträgt, ist mindestens fraglich.
Schließlich bietet die Tendenz zur Skandalisierung von Ungleichbehandlung für Christen die Chance, der Gesellschaft einen anderen Weg aufzuzeigen. In dem Maß, in dem gelebtes Christentum zur gesellschaftlichen Randerscheinung und die Gläubigen zur Minderheit werden, dürften auch die Diskriminierungserfahrungen zunehmen. So wichtig der wiederkehrende Hinweis auf Christenverfolgung auch ist: Christen sollten nicht in den Opferwettbewerb einsteigen, sondern ihren Mitmenschen mit Vertrauen begegnen. Gesellschaftliche Spaltung wird nicht durch unnachgiebiges Einfordern absoluter Gerechtigkeit, sondern am ehesten durch das barmherzige Ertragen des Nächsten und das gelegentliche Hinhalten der anderen Wange überwunden.
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