Es hätte ein schöner, sonniger Tag Ende Februar in Warschau werden können: Doch die morgendliche Nachricht von der russischen Attacke auf die Ukraine sorgte bei vielen Einwohnern der Stadt für Entsetzen. Auf den morgendlichen Straßen sah man weinende Frauen mit Kindern, viele Autofahrer schienen beim Weg zur Arbeit die Neuigkeiten auf dem Mobiltelefon aufmerksamer zu verfolgen als den Verkehr: Ein Krieg so dicht an der eigenen Grenze. Wie schrecklich.
Putin macht ernst
Alles, was Wladimir Putin in den vergangenen Tagen gezeigt und gesagt hat, war bereits verstörend, doch nun, da der erwartete Angriff tatsächlich standgefunden hat, fragten sich vermutlich nicht wenige, was dem russischen Präsidenten noch alles zuzutrauen ist. Zumal: Ist dieser fanatisch wirkende Mann, der im Oktober 70 Jahre alt wird und länger als 20 Jahre an der Macht ist, mit rationalen Argumenten überhaupt noch zu erreichen? In Polen – und sicher nicht nur dort - ist er jetzt jedenfalls das Realsymbol für den großen slawischen Bruder, als der Russland in der polnisch-russischen Geschichte immer wieder aufgetreten ist. Wenn nicht Schlimmeres. Unberechenbar, wild und gefährlich.
Immerhin: Schnell versammelten sich vor der Russischen Botschaft in Warschau Demonstranten. Hauptsächlich Ukrainer, die hier leben, aber auch Polen, die sich mit dem östlichen Nachbarn solidarisch fühlen. Solidarität war auch vor Kultur-Institutionen in der Hauptstadt sichtbar; demonstrativ wurde die ukrainische Flagge gehisst.
Solidarität als Hauptmotiv
Überhaupt das Wort „Solidarität“: Es spielte bei der außerordentlichen Ansprache des Vorsitzenden der Polnischen Bischofskonferenz, Stanislaw Gadecki, der um 14 Uhr aufgrund der russischen Invasion vor die Presse trat, das Hauptmotiv. Einen früheren Appell aufgreifend versicherte der sichtbar geschockt wirkende Hirte „allen Ukrainern in Polen und in der Ukraine“ seine Solidarität und eine besondere Nähe durch das Gebet und die Hilfsbereitschaft. Die polnischen Gläubigen bat Gadecki, den Aschermittwoch als Tag des Fastens und des Gebets für den Frieden zu begehen. Die Kirche in Polen organisiert bereits Aufnahmeplätze für Flüchtlinge.
Sehr gefasst und staatsmännisch trat - fast zeitgleich mit Gadecki - der polnische Premier Mateusz Morawiecki (PiS) im polnischen Parlament (Sejm) an das Rednerpult. „Wir werden Flüchtlinge aus der Ukraine nicht allein lassen“, sagte Morawiecki mit fester Stimme und in Richtung Moskau gewandt: „Nur entschiedenes Handeln wird Putins barbarische Aggression stoppen!“ Die auf den Straßen spürbare Angst – dem Regierungschef, der PiS-intern als umstritten gilt, weil er kein ideologischer Hardliner ist, war sie nicht anzumerken. Morawiecki hob besonders das NATO-Bündnis hervor und sagte dann den Satz, der die Landsleute beruhigen soll: Das ganze Land ist vollkommen sicher. Dabei unterließ es Morawiecki nicht, vor russischen Fake-News zu warnen, die zur Destabilisierung beitragen sollen, aber genau dies nicht dürfen.
Spontanes Gebet für Frieden
Es gab viel Applaus nach seiner Rede. Wenn auch nur von den eigenen Regierungskoalitionsparteien. Ein historischer Moment, das spürte man. Dass aber auch den polnischen Politikern, zumal solchen im Ruhestand, die Vorgänge im Nachbarland an die Nerven gehen, wird in den Sondersendungen des polnischen Fernsehens deutlich. Wo sich manche sehr aufgewühlt und erschrocken zeigen. Geradezu sprachlos: Das, was man lange befürchtet hatte, ist tatsächlich eingetreten. Wie wird es weitergehen?
Viele gläubige Polen jedenfalls suchen heute spontan Kirchen auf, nicht nur in der Hauptstadt, um für den Frieden zu beten und vielleicht auch, um die eigenen Nerven zu beruhigen. Das ist menschlich verständlich. Und Gebet kann sicherlich nicht schaden, besonders nicht in Zeiten wie diesen, da Putin durch sein martialisches Handeln die Sonne der Freiheit und Souveränität verdunkelt und das menschliche Lebensrecht mit Stiefeln, Panzern und Raketen angreift. Dass die Ukraine zurzeit geradezu stellvertretend für ganz Europa kämpft und leidet, war ein Gedanke, den Morawiecki in seiner Rede auch vermittelte.
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