Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Wende in der Asylpolitik?

Migrationsgipfel: Kleiner Schritt auf weitem Weg

"Deutlich" und "rasch" sollen die Asylbewerberzahlen gesenkt werden. Die Beschlüsse des Migrationsgipfels werden dazu nicht ausreichen.
Pressestatement zum Deutschlandpakt bei der Ministerpräsidentenkonferenz
Foto: IMAGO (www.imago-images.de) | Die Beschlüsse des Bund-Länder-Gipfels am Montagabend, die Olaf Scholz gleichwohl als "sehr historisch" pries, sind eine vorläufige Kompromisslösung. Im Bild: Stephan Weil, Olaf Scholz und Boris Rhein.

Ist das schon die "Asylwende", die die CDU vom Kanzler fordert? Unwahrscheinlich. Die Beschlüsse des Bund-Länder-Gipfels am Montagabend, die Bundeskanzler Olaf Scholz gleichwohl als "sehr historisch" pries, sind eine vorläufige Kompromisslösung. Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) sprach von einem "Schritt in die richtige Richtung"; ein "Weg" bestehe allerdings aus "sehr vielen Schritten". Auch Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, sagte, er hoffe, dass die Beschlüsse durch Zusammenarbeit von Union und Regierung auf Bundesebene noch "ergänzt und komplettiert" würden.

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Ein halbes Jahr hatte Scholz die Länderchefs nach dem ersten "Migrationsgipfel" im Mai hängen lassen. Nun, nach den Landtagswahlen, bekommen die Länder immerhin die geforderte "atmende" Finanzierung, wenn auch nicht ganz in der gewünschten Höhe. Statt einer Pauschale zahlt der Bund künftig 7.500 Euro pro Jahr für jeden Asylbewerber an die Länder und Kommunen, die die Unterbringung und Versorgung leisten müssen. Damit wird für die Bundesregierung zukünftig auch eine Art automatische finanzielle Konsequenz der eigenen Asylpolitik wirksam. Bisher, so Scholz, betrügen die Kosten für Asylbewerber derzeit etwa 36 Milliarden Euro im Jahr, die Bund und Länder je etwa zur Hälfte zahlten. Für eine Entlastung der öffentlichen Kassen soll nun unter anderem eine Fristverlängerung sorgen: Wurden Asylbewerbern bisher regelhaft nach 18 Monaten sogenannte Analogleistungen in Höhe des Bürgergeldes zugestanden, sollen nun doppelt so lange nur die etwas niedrigeren Bezüge aus dem Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt werden. 

Bundesweit einheitliche Bezahlkarte soll kommen

Neben der Finanzierungsfrage konnten sich Bund und Länder darauf einigen, eine bundesweit einheitliche "Bezahlkarte" einzuführen. Zudem sollen Asylverfahren durch personelle Aufstockung schneller bearbeitet werden, der Familiennachzug subsidiär Schutzberechtigter "nicht ausgeweitet" und Flüchtlinge, die aus EU-Staaten einreisen, durch Grenzkontrollen "entsprechend den rechtlichen Grundlagen" zurückgewiesen werden. Auf EU-Ebene will sich die Regierung für einen zügigen Abschluss der geplanten Reformen der europäischen Asyl- und Migrationspolitik einsetzen. 

Ob mit diesen Maßnahmen das offizielle Ziel, die Zahl der Flüchtlinge "deutlich und nachhaltig", aber auch "rasch" zu senken, erreicht werden kann, wird allgemein bezweifelt. Sowieso können die Reformen nur die relative Attraktivität des Ziellands Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Staaten beeinflussen. Für die Bezahlkarte, die Bargeldleistungen, die als "Pull-Faktor" gelten, teilweise ersetzen soll, wird nun bis Ende Januar ein "Modell" erarbeitet, bevor eine Umsetzung überhaupt begonnen werden kann. Andere Anziehungsfaktoren, wie die Größe der schon existierenden Diasporagemeinden oder der Arbeitsmarkt, können oder sollen nicht beeinflusst werden. Auch eine direkte Zurückweisung an EU-Binnengrenzen ist vom Europäischen Gerichtshof erst im September 2023 als in der Regel rechtswidrig festgestellt worden, und ist sowieso nicht möglich, wenn durch den Flüchtenden Antrag auf Asyl gestellt wird. 

Die Bundesregierung will indes auf Wunsch der Union schon mal "prüfen", ob eine Feststellung des Schutzstatus in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann; ein Vorhaben, das der britischen Regierung kürzlich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte versagt worden war, und vorerst genauso unerreichbar sein dürfte wie die der Idealvorstellung des CDU-Generalsekretärs Carsten Linnemann, es sollten am besten "nur noch die Menschen kommen, die bereits einen positiven Asylbescheid haben". Worin also bestand die historische Qualität des Treffens? Dem bescheidenen Kanzler genügte es, dass Bund und Länder im Angesicht einer "unbestreitbar großen Herausforderung" überhaupt zu einer gemeinsamen Lösung finden konnten.

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