Der 23-jährige Attentäter, der am Samstagabend in Villach einen 14-Jährigen ermordete und fünf weitere Passanten verletzte, war muslimischer Syrer. Der 42-jährige Alaaeddin Alhalabi, der den Angreifer stoppte, ebenfalls. Schon das widerlegt alle Kollektivschuld-Thesen und pauschalisierenden Verurteilungen. Während andere sich selbst in Sicherheit brachten, stoppte ein gut integrierter Syrer, der seit neun Jahren in Villach lebt und als Foodora-Fahrer arbeitet, den syrischen Amokläufer.
Es sind nicht einfach „die“ Syrer oder Afghanen gewaltbereite Islamisten, aber es sind immer mehr radikalisierte Islamisten unter ihnen, die zu hemmungsloser Gewalt bereit sind und – wie der Attentäter von Villach – ihre Taten in der Erwartung ausführen, von der Polizei erschossen zu werden. Polizei und Politik in Österreich haben nicht gezögert, von einem islamistischen Terroranschlag mit IS-Hintergrund zu sprechen. Und diese Klarheit ist zu begrüßen.
Anders als in Deutschland, ist der Islam in Österreich seit 1912 beheimatet und rechtlich geordnet. Zur besseren Integration (und Kontrolle) der bosnischen Muslime erließ Kaiser Franz Joseph damals ein Islamgesetz, das seither nur geringfügig adaptiert werden musste. In dieser Tradition steht als offizielle Repräsentanz die „Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (IGGÖ), die den Anschlag von Villach als „zutiefst schockierende und abscheuliche Tat“ verurteilte und beteuert, dass Gewalttaten „mit den wahren Werten unseres Glaubens nichts gemein“ hätten.
Richtungsstreit in der islamischen Welt
Solche Statements machen zwei Probleme sichtbar: Erstens ist der Islam weltweit in einem fundamentalen Richtungsstreit über die „wahren Werte“ des Glaubens. Dschihadistische Bewegungen sunnitischer und schiitischer Konfession würden der IGGÖ ins Gesicht lachen. Der Richtungsstreit innerhalb der islamischen Welt wird mit unendlich viel Gewalt ausgetragen – und landet via Migration mit riesiger Wucht in den Ländern Europas. Auch in Österreich ist der Islam ethnisch, ideologisch und kulturell bunter und vielfältiger geworden. Und die IGGÖ hat längst nicht mehr die Autorität, für alle in Österreich lebenden Muslime zu sprechen.
Mehr noch: Der Autoritätsverlust der klassischen islamischen Institutionen begünstigt sogar die Radikalisierung junger Muslime. Das trifft global wirksame Institutionen, wie die Rechtsschule der Al-Azhar in Kairo, aber auch die IGGÖ oder den Reis ul-Ulema, das Oberhaupt der Muslime in Bosnien. Der wies gegenüber der „Tagespost“ schon vor Jahren auf das zweite Problem hin: Die Radikalisierung (selbst in Bosnien) erfolgte früher aus bestimmten salafistisch orientierten Staaten, heute jedoch über das Internet.
Junge Muslime in aller Welt – auch in den säkularisierten Gesellschaften Europas – werden nicht mehr von salafistischen Wanderpredigern aus Katar und Saudi-Arabien radikalisiert, sondern durch YouTube, TikTok und Instagram. Entwurzelte, gelangweilte, von unserer Gesellschaft angeödete oder auch angewiderte junge Muslime ziehen sich stundenlang und in großer Zahl das salafistische Weltbild über „soziale Medien“ rein – und die Algorithmen begünstigen die Radikalisierung. Solange Sicherheitsbehörden und Politik meinen, den wachsenden Terrorismus nur offline bekämpfen zu können, wird es keine Fortschritte geben. Sie müssen auch den islamistischen Influencern auf TikTok & Co. den Kampf ansagen.
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