Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Politik unter Handlungsdruck

Klimadämmung allerorten

Weil hohe Kosten für verlorene Wahlen sorgen, kommt Bewegung in die europäische Klimapolitik.
Gewitterfront im Abendlicht
Foto: IMAGO/Jan Eifert (www.imago-images.de) | Hat sich die Erkenntnis, dass es also wichtig ist, CO2-Einsparungen mit möglichst geringem Aufwand zu erreichen, auch bei der Bundesregierung durchgesetzt? Die Einsicht käme jedenfalls spät.

"Wahnsinn" ist es für die Deutsche Umwelthilfe (DUH), was die Bundesregierung im Rahmen des dieswöchigen "Baugipfels" beschlossen hat. Genauer gesagt: Der "Bruch aller Klimaziele im Gebäudebereich". Zwar steht die umstrittene Verbraucherschutzorganisation nicht im Ruf differenzierter Kommunikation. Fakt ist aber, dass die Ampel angesichts der schlechten Auftragslage im Wohnungsbau - und wohl auch eingedenk der miserablen Umfragewerte - beschlossen hat, den für 2025 geplanten neuen (und teuren) Energieeffizienzstandard "EH-40" für Neubauten auszusetzen. Zudem will sich die Regierung nicht länger für EU-Pläne einsetzen, die eine verpflichtende energetische Sanierung für Altbauten vorsehen. In Kombination mit Förderprogrammen soll dies dazu beitragen, dass der Weg zum zuletzt sehr teuren Eigenheim wieder bezahlbarer wird. 

Den Anspruch, bis 2045 klimaneutral zu werden, gibt die Regierung auf

Der Schwenk von der reinen Klima-Lehre zur pragmatischeren Berücksichtigung auch anderer Politikziele hatte sich in den letzten Wochen bereits auf europäischer Ebene abgezeichnet. Hierzulande weitgehend unbemerkt hat sich etwa Schweden seit dem Antritt der konservativen Regierung im vergangenen Herbst Stück für Stück von teuren grünen Idealvorstellungen distanziert. Schon vor Amtsantritt hatte man sich darauf geeinigt, die Atomkraft kräftig auszubauen. Dann strich die Regierung die Subventionen für Elektroautos. Nun sollen aus Rücksicht auf die steigenden Lebenshaltungskosten Steuern auf Benzin gesenkt werden. Den Anspruch, bereits bis 2045 klimaneutral zu werden, gibt die Regierung damit explizit auf. 

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Ähnlich agiert derzeit die britische Regierung. Zwar will diese weiterhin bis 2050 Klimaneutralität erreichen - aber auf eine "angemessenere Weise", wie Premierminister Rishi Sunak in der vergangenen Woche verkündete. Die bisherigen Klimaziele: zu teuer. So wird nun das Ende des Verbrennungsmotors in Fahrzeugen um fünf Jahre nach hinten verschoben. Auch das Einbauverbot für neue Öl- und Gasheizungen soll später erfolgen. "Wir werden den Planeten nicht retten, indem wir das britische Volk in den Bankrott treiben", erklärte Innenministerin Suella Braverman. Von vielen Beobachtern wird der nicht unumstrittene Kurswechsel mit einem Wahlsieg im Juli in Verbindung gebracht: Damals hatten die Tories, Großbritanniens derzeit eigentlich äußerst unbeliebte Regierungspartei, die Nachwahl eines Unterhaussitzes unerwartet gewonnen, nachdem der konservative Kandidat die Wahl als Protestgelegenheit gegen die von der linken Labour-Partei betriebene Ausweitung der Londoner Umweltverkehrszone beworben hatte. 

Große Mehrheit sieht Kampf gegen Klimawandel weiter als wichtig

Fast fünf Jahre nach dem Aufflammen der Gelbwestenproteste in Frankreich, deren Auslöser eine neue Umweltsteuer auf Diesel und Benzin gewesen war, scheint damit erstmals auch auf Regierungsebene Bewegung in die Frage des "wie" des Klimaschutzes zu kommen. Nach wie vor sehen große Mehrheiten der europäischen Bevölkerung die Bekämpfung des Klimawandels als wichtige Aufgabe. Es zeichnet sich allerdings ab, dass mit Klimaschutz keine Wahlen zu gewinnen sind, wenn damit schmerzhafte wirtschaftliche Belastungen einhergehen. 

Hat sich nun die Erkenntnis, dass es also wichtig ist, CO2-Einsparungen mit möglichst geringem Aufwand zu erreichen, auch bei der Bundesregierung durchgesetzt? Die Einsicht käme jedenfalls spät. Bisher agierte das grün geführte Wirtschafts- und Klimaschutzministerium mäßig flexibel. Das "Heizungsgesetz" mit seinen anti-marktwirtschaftlichen Detailregelungen wurde zwar inhaltlich entschärft, aber dadurch nur noch bürokratischer. Vom ideologisch motivierten Atomausstieg wich die Regierung trotz Energiekrise nicht ab. Gut möglich, dass genau diese Weichenstellung das politische Schicksal der Ampel mitentscheiden wird: Gelingt es ihr nicht, wenigstens perspektivisch für niedrigere Energiepreise zu sorgen, werden nicht nur Industrieunternehmen, sondern auch Wähler abwandern.

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Jakob Ranke Britische Regierungen

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