Noch vor der Sommerpause hätte es verabschiedet werden sollen, der vor Widersprüchen nur so strotzende Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz (SBGG). Im buchstäblich letzten Moment vor einer Zustimmung des Bundeskabinetts kam das SPD-geführte Innenministerium doch noch mit Sicherheitsbedenken um die Ecke, nachdem sich bisher nur die grüne Familienministerin mit dem gelben Justizminister darum gezankt hatte. Das Bundeskriminalamt fürchtet, Kriminelle könnten den Personenstandswechsel dazu nutzen, sich eine neue Identität zu beschaffen und damit unterzutauchen.
Warum kommt diese klaffende Sicherheitslücke erst in allerletzter Sekunde in den Blick der Politik, wo doch das SBGG in seinen Grundzügen bereits im Koalitionsvertrag von 2021 umrissen ist? Die Antwort ist einfach: Eine seriöse Debatte des Selbstbestimmungsgesetzes war zu keinem Zeitpunkt möglich. Äußerungen von Familienministerin Lisa Paus und dem Queerbeauftragten Sven Lehmann („Transfrauen sind Frauen, alles andere ist transphob“) trugen zu einem hysterischen Klima bei, in dem jeder auch noch so sachliche Einwand als queerfeindlich und rechtspopulistisch abgetan wurde.
Angst, als Faschist gebrandmarkt zu werden
Wer darauf hinwies, dass ein Gesetz, das der Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen keine einzige Hürde in den Weg legt, von solchen ausgenutzt werden könnte, die es gar nicht betrifft, sah sich in null Komma nichts als „TERF“ verschrien. Dabei ist die Sorge nicht aus der Luft gegriffen, wie Vorfälle aus de USA, Großbritannien und Schottland zeigen, wo angebliche Transfrauen in weibliche Schutzräume – Saunen, Frauengefängnisse – eindrangen, um dort biologische Frauen sexuell zu belästigen oder zu vergewaltigen.
Vor einigen Wochen erregte der Fall eines biologischen Mannes Aufsehen, der sich mit einem Ergänzungsausweis der DGTI (Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität) als angebliche Transfrau Zugang zu einer Frauensauna in Wien verschaffte. Dass es sich dabei offenbar um einen inszenierten Coup handelte, ändert nichts daran: Im aktuellen Klima lassen Betreiber von Restaurants und Frauensaunen aus Angst, als Faschist gebrandmarkt zu werden, biologische Männer in weibliche Schutzräume.
Wenn Pauschalbeschuldigungen den Austausch von rationalen Argumenten ersetzen und missliebige Gegenmeinungen wahlweise als „transphob“ oder gleich als rechtsradikal gestempelt werden, ist keine politische Debatte mehr möglich. Das hilft weder der mikroskopisch kleinen Gruppe der „echten“ Transsexuellen, noch dieser politikverdrossenen Gesellschaft. Den Schaden hat die Demokratie. Übrigens: Wer Mehrheitspositionen am laufenden Band in die rechte Ecke stellt, braucht sich irgendwann nicht mehr zu wundern, wenn die Wähler Richtung AfD abwandern.
Kommt jetzt eine echte Debatte in Gang?
Dass gerade das von der woken Nacy Faeser geführte Ministerium die Reißleine zieht, ist sicher nicht ihr selbst zu verdanken, sondern ihrer Administration. Vielleicht kommt jetzt trotzdem noch, wenn auch recht spät, eine echte Debatte in Gang. So leicht wird das Problem nämlich nicht zu lösen sein. Die Forderung, Polizei und Sicherheitsbehörden müssten von Namens- und Geschlechtsänderungen in Kenntnis gesetzt werden und diese nachverfolgen können, ist nämlich nicht trivial: Sie läuft dem ebenfalls im SBGG enthaltenen Offenbarungsgebot zuwider, das eine Geldstrafe für den vorsieht, der die Änderungen des Geschlechtseintrags einer Person gegen ihren Willen offenbart.
Der nächste Punkt, der nun endlich auf den Tisch gehört: Was macht es mit der Identitätsfindung von Kindern und Jugendlichen, wenn auch sie zukünftig einmal im Jahr ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern dürfen?
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