Zeitenwende

Selbstbestimmung in Maßen: Geschlechterwechsel: ja –Gummibärchen: nein

Individualität, Identität, Körperlichkeit, Selbstbestimmung - der Mensch als Spielball politischer Willkür.
Gender Recognition Act in Schottland
Foto: Jane Barlow (PA Wire) | Befürworter des Gesetzes zur Reform der Geschlechteranerkennung protestieren mit «Trans rights now!«

Anfang des Jahres verkündete der Queer-Beauftragte der Ampel, Sven Lehmann, die Arbeiten zum sogenannten Selbstbestimmungsgesetz seien weitestgehend abgeschlossen. Wer hinter dem euphemistischen Namen des Gesetzes einen überraschenden Vorstoß für mehr politische Selbstbestimmung der Bürger erwartet, wird allerdings enttäuscht. Das Gesetz beschreibt die nach Ansicht der Bundestagsabgeordneten und grünen Quotentransfrau Tessa Ganserer„überfällige“ Neuformulierung des Transsexuellengesetzes und soll es ermöglichen, – maximal jährlich – seinen Geschlechtseintrag zu ändern. Rechtliche Bedenken aus dem Justizministerium, die die Durchsetzung verzögern, wie die Frage der Folgen für geschlechtergetrennte Einrichtungen wie Saunen oder Frauenhäuser seien eigentlich kein Problem, da sich dies alles „im individuellen Fall klären“ ließe, so Ganserer.

Selbstbestimmung beim Geschlecht, nicht aber bei Süßigkeiten

Dass mit dem Gesetz nicht lediglich bürokratische Konsequenzen verbunden sind, sondern es vielmehr einen staatlichen Eingriff in die Selbstbestimmung von Individuen und Familien darstellt, zeigt sich nicht zuletzt in der Frage nach der Gültigkeit des Gesetzes für Minderjährige. Während bei unter 14-jährigen die Sorgeberechtigten „die Änderungserklärung gegenüber dem Standesamt abgeben“ sollen, besteht bei über 14-jährigen im Falle einer Nicht-Zustimmung der Eltern die Möglichkeit einer gerichtlichen Zustimmung, welche „die Zustimmung der Eltern auf Antrag des Minderjährigen ersetzen“ kann, so das Ministerium von Frau Paus.

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Für eine „selbstbestimmte“ Entscheidungsfindung baut die Regierung laut den FAQ dabei „auf Beratungsangebote einschlägiger Vereine und Verbände (,peer-to-peer'-Beratung)“ – deren Qualifikation natürlich vom Ministerium selbst festgestellt wird. Dass diese Verbände Aufklärung statt Einflussnahme betreiben, ist zu bezweifeln. Während es die Regierungsparteien also Minderjährigen durchaus zutrauen, weit über den Standesamtseintrag hinausgehende Entscheidungen über ihr Geschlecht zu fällen, fehlt das Vertrauen, wenn es um den Konsum von Schokolade, Chips und Kuchen geht.  

Werbeverbot für Süßes

So forderte Ernährungsminister Cem Özdemir vergangene Woche ein Verbot der Werbung für Süßigkeiten, um insbesondere Kinder und Jugendliche davor zu schützen. Mastektomie ja – Gummibärchen nein? Dem Problem des übermäßigen Zuckerkonsums gerade bei Kindern wird schon seit Jahrzehnten mit Aufklärungskampagnen begegnet. Doch Aufklärung von Eltern und Kindern scheint nicht auszureichen – die Zielgruppe der Werbung ist dafür einfach zu leicht zu beeinflussen. In dem Fall muss Selbstbestimmung wohl doch der Gesundheit untergeordnet werden.

Die Absurdität wird dann auf die Spitze getrieben, wenn in der gleichen Partei, aus der Verbotsforderungen für Süßigkeitenwerbung kommen, die Parteivorsitzende Ricarda Lang für eine „Body Positivity“ wirbt, welche offensichtlich übergewichtige und ungesunde Körper als Ideale in der Werbung zu inszenieren versucht. „Plus-Size“ ja, aber nur durch vegane Bowls?

Der Bürger als Marionette

Offensichtlich wird dabei nur die Verlogenheit einer Ideologie, für die das Individuum nichts zählt, für die der Einzelne nur das Spielfeld von Weltanschauungen ist und Freiheit nur dann valide, wenn sie entsprechend dieser Anschauungen gelebt wird. Die Regierung verleiht einer solchen Personenfeindlichkeit Gesetzmäßigkeit und degradiert damit den Staat zum willfährigen Helfer, der statt mündiger Bürger alimentierte Marionetten unterhält.

Dagegen ist die Stärkung der persönlichen – auch geschlechtlichen – Identität und der verantwortungsvolle Umgang mit dem eigenen Körper, sowie den Körpern anderer grundlegend – nicht nur für die persönliche, sondern auch ihre demokratische Reife.

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