Tausende Pager – ein beliebtes Kommunikationsmittel der Hisbollah – explodierten am Dienstag im Libanon zeitgleich, neun Menschen wurden getötet, rund 2.800 verletzt. Alle Welt staunt über diese Aktion gegen die Hisbollah, die dem israelischen Geheimdienst Mossad zugeschrieben wird. Viele Medien finden James-Bond-Vergleiche naheliegend. Die Hisbollah schwört – wie in solchen Fällen üblich – Rache.
Nein, Israel hat damit nicht eine neue Front eröffnet, denn das hat die Hisbollah bereits vor mehr als elf Monaten getan: Die schiitische Terrormiliz, die vom Iran ausgerüstet, finanziert und gelenkt wird, hat Israel seit dem brutalen Terrortag der Hamas am 7. Oktober 2023 in Atem gehalten, den Norden immer wieder mit Raketen terrorisiert und so rund 60.000 Menschen aus ihren Dörfern und Städten verjagt. Damit sind Israels Souveränität und Sicherheit von Norden her massiv bedroht und beeinträchtigt.
Wie lässt sich ein Mehrfrontenkrieg vermeiden?
Israel hat auf den iranisch orchestrierten Hisbollah-Terror immer wieder reagiert: hart, gezielt und hinter der Front, und dies im Libanon, in Syrien und sogar im Iran. Die Überlegenheit des israelischen Geheimdienstes ist offenkundig, die Schlagkraft des israelischen Militärs ist beachtlich, und doch ist die Frage nach der politischen Sinnhaftigkeit der jeweiligen Aktionen damit noch nicht beantwortet.
Israels Regierung hat nun nämlich nicht drei, sondern sogar vier Kriegsziele: Sie ist entschlossen, die militärische Schlagkraft der Hamas zu brechen; sie ist verpflichtet, möglichst viele Geiseln lebend nach Hause zu bringen; sie muss den Norden Israels wieder sicher und bewohnbar machen, was ein Ende des Hisbollah-Terrors und volle Kontrolle über das Grenzgebiet voraussetzt – und sie muss einen offenen Mehrfrontenkrieg verhindern. Das aber geht nur, wenn die Entscheidungsträger in Teheran den Eindruck gewinnen, eine direkte militärische Konfrontation mit Israel sei für ihren eigenen Machterhalt (nicht bloß im Iran, sondern auch im Irak, in Syrien und im Libanon) inopportun, ja sogar gefährlich.
Netanjahus innere Front
Als wäre dieses politische Schachspiel noch nicht kompliziert genug, kommen für Israel auch noch innenpolitische Erwägungen hinzu: Verteidigungsminister Joav Gallant steht offenbar unmittelbar vor der Ablösung, weil er Premierminister Benjamin Netanjahu zu oft und zu öffentlich widersprochen hat. Für Netanjahu geht es beim aktuellen Mehrfrontenkrieg auch um eine innere Front: Er will seine fragile und umstrittene Koalition möglichst lange erhalten und damit sein eigenes politisches Aus verhindern. Dieses Eigeninteresse könnte den Blick auf die Interessenslage des Landes trüben.
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