Neun namhafte Wissenschaftler wollen sich in der aktuellen Abtreibungsdebatte kein X für ein U vormachen lassen. In einem gemeinsamen Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) wenden sich die fünf Rechtwissenschaftler und vier Frauenheilkundler und Geburtsmediziner gegen eine rechtliche Neureglung des § 218 Strafgesetzbuch und üben dabei auch deutlich Kritik an dem von 236 Abgeordneten in Bundestag eingebrachten Gesetzesentwurf. Besonders interessant: Unter den Autoren findet sich mit Karin Graßhof auch eine ehemalige Höchstrichterin, die am letzten Abtreibungsurteil des Bundesverfassungsgerichts selbst mitgeschrieben hat.
Zufall oder nicht
In dem lesenswerten Beitrag, der die Überschrift „Ein Körper, zwei Personen“ trägt, rügen die Autoren zunächst die „bemerkenswerte Einseitigkeit der Perspektive“, die „unzutreffenden Prämissen und fehlerhaften Ableitungen“ der „gesellschafts- und rechtspolitischen Reformbewegung“, die auf eine „mehr oder weniger vollständige Entkriminalisierung“ vorgeburtlicher Kindstötungen abziele. Dann gibt es – freundlich im Ton, aber unnachgiebig in der Sache – Nachhilfe in Biologie, Embryologie, Verfassungs- und Völkerrecht sowie in Sachen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Zufall oder nicht: Mit neun an der Zahl versammelt der Beitrag genauso viele Autoren hinter sich, wie die Arbeitsgruppe 1 der von der Bundesregierung eingesetzten „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ Mitglieder zählt, die im April ihren Abschlussbericht vorlegte und die Bundesregierung darin aufforderte, vorgeburtliche Kindstötungen mindestens binnen des ersten Trimenons „rechtmäßig“ zu stellen.
Pflichtlektüre für Abgeordnete
Ihnen schreiben die neun Hochkaräter (darunter drei Klinik-Chefärzte, eine BGH-Richterin sowie drei Ordinarien) nun ins Stammbuch, die auf ihren Empfehlungen basierenden vorgeschlagene Neuregelung sei „verfassungsrechtlich unzulässig“ und „völkerrechtlich entgegen anders lautenden Behauptungen keineswegs geboten“. Aufgeräumt wird auch mit der Mär, das geltende Recht „kriminalisiere“ Frauen und Ärzte, sowie jener, Ärzte zögerten, aus Angst vor Strafverfolgung, Abtreibungen durchzuführen.
Wer einmal um das Leben eines Patienten im Mutterleib gekämpft hat, dürfte sich – bei allem Verständnis für den Konflikt der Schwangeren – schlicht schwer damit tun, einen anderen auf Wunsch von dessen Mutter beseitigen zu sollen. Sollte der Deutsche Bundestag tatsächlich willens sein, den skandalösen Gesetzesentwurf in den bis zu den Neuwahlen verbleibenden Sitzungswochen noch durch das Parlament zu jagen, dann müsste zumindest dieser hellsichtige FAZ-Beitrag zur Pflichtlektüre der Volksvertreter gehören.
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