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Fluchtpunkt Gott

Es ist vollkommen richtig, wenn der bayerische Innenminister die Ehrfurcht vor Gott als Erziehungsziel herausstreicht. Der Gottesbezug in den Verfassungen ist aber durchaus diffizil.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann
Foto: IMAGO/Sachelle Babbar (www.imago-images.de) | Bayerns Innenminister Joachim Herrmann forderte vor wenigen Tagen, die „Ehrfurcht vor Gott“ wieder stärker in der schulischen Erziehung zu berücksichtigen.

Bayern ist in guter Verfassung. Und da ist es in gewisser Weise natürlich, wenn der weiß-blaue Innenminister ab und an darauf hinweist. Die Art und Weise wie das Joachim Herrmann gemacht hat, mag allerdings manche erstaunen. Der Christsoziale forderte vor wenigen Tagen, die „Ehrfurcht vor Gott“ wieder stärker in der schulischen Erziehung zu berücksichtigen. Und weiß sich dabei im Einklang mit den bayerischen Verfassungsvätern, im Artikel 131 wird sie als „oberstes Bildungsziel“ genannt. 

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Allerdings – und das ist hier wichtig – kann dieser Gottesbegriff nicht im konfessionellen Sinne verstanden werden, ja, wenn man es recht nimmt, ist er auch kein direktes christlichen Bekenntnis. Er stellt vielmehr eine kulturelle Verwurzelung heraus. 

Überkonfessioneller Gottesbegriff

Udo di Fabio macht immer wieder darauf aufmerksam, dass im Grundgesetz der Begriff „Gott“ im Sinne der kulturellen Tradition als Synonym für eine Instanz gesehen wird, die jenseits der menschlichen Vernunft stehe und der sich der Mensch in seinem Handeln gegenüber verantwortlich fühlen müsse. Dieser „Gott“ ist dann nicht der Gott der Christen, der Juden oder der Muslime. Dieser Gottesbegriff ist vielmehr überkonfessionell und interreligiös, ja sogar für Atheisten anschlussfähig, wenn sie diesen „Gottesbegriff“ eben in diesem Sinne als Synonym verstehen.

Dies gilt nicht nur für das Grundgesetz, sondern auch für die Landesverfassungen, in denen es einen Gottesbezug gibt. Herrmann wies denn auch darauf hin, dass junge Menschen lernen sollten, ihr Leben in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Außerdem sollten sie schätzen, was anderen heilig sei und lernen, Respekt davor zu zeigen, auch dann, wenn sie selbst nicht gläubig seien. 

Das mag nun für manche, die auf den ersten Blick beim Schlagwort „Ehrfurcht vor Gott stärken“ jubeln, ernüchtern. Sollte sie aber nicht. Denn klar ist: Weder die Bundesrepublik, noch Bayern sind ein christlicher Gottesstaat. Und das ist auch gut so. Trotzdem spiegelt sich in ihren Verfassungen die kulturelle Entwicklung der letzten Jahrhunderte wider, natürlich auch der christliche Einfluss.

Der Mensch muss auf einen breiteren Sinnzusammenhang ausgreifen

Zu der historischen Erfahrung der unmittelbaren Nachkriegszeit zählte die Erkenntnis, wenn das Bewusstsein für eine Instanz jenseits der Vernunft verloren geht, der sich der Mensch gegenüber verantwortlich fühlt, droht die totalitäre Barbarei. Und diese Erkenntnis sollte ausgedrückt werden. Und dafür wurde wiederum das Vokabular verwendet, das eben aufgrund der christlichen Imprägnierung der Gesellschaft damals noch ganz selbstverständlich war: „Gott“. 

Klar war aber auch schon damals, dass dies nicht bedeuten kann, dass der Staat in irgendeiner Weise nun katechetische Funktionen auszuüben hätte. Ganz im Gegenteil. Diese Passagen sind vor allem als anthropologische Aussagen zu lesen. Der Mensch ist das Wesen, das auf einen breiteren Sinnzusammenhang ausgreifen will und ausgreifen muss. Dieser Sinn erschöpft sich nicht im Materialismus, auch nicht im Rationalismus. Die Suche des Menschen nach einer solchen Instanz beziehungsweise die Kultivierung der Beziehung zu dieser Instanz muss gefördert werden, unterliegt aber in ihrer Form der Freiheit. 

Die Kirchen können sich über Herrmanns Werbung freuen

Deswegen können sich die Kirchen darüber freuen, dass Herrmann dieses Erziehungsziel herausgestellt hat. Nicht weil hier sozusagen für sie indirekt Werbung gemacht würde. Sondern damit hat der Innenminister die Aufgabe umschrieben, die ihnen, aber auch anderen weltanschaulichen Gemeinschaften in unserem freiheitlich-demokratischen Staat zukommt. 

Heißt übrigens auch: Da, wo der Staat vollkommen zu Recht neutral ist, da muss die Glaubensgemeinschaft konkret sein. Da, wo der Staat nur eine Suche zulässt, da muss die Glaubensgemeinschaft davon sprechen, was ihre Gläubigen gefunden haben. Kurz: Der Staat gewährt Freiheit, die Kirchen müssen sie aber auch nutzen.

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