Der Wiener Dombaumeister Wolfgang Zehetner ist skeptisch, dass sich die von einem Brand schwer beschädigte Pariser Kathedrale Notre-Dame innerhalb von fünf Jahren wiederaufbauen lässt. Dies hatte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron nach dem verheerenden Feuer versprochen. „Ich halte das für sehr ambitioniert“, so Zehetner, der auch Vorsitzender der Europäischen Vereinigung der Dombaumeister ist, im Interview mit „Spiegel Online“.
Behebeung aller Schäden könnte Jahrzehnte dauern
Dabei sieht der Experte die Kosten nicht als das Problem. „Mit den momentan Spendenzusagen sollte das klappen.“ Jedoch kann sich der Dombaumeister nicht vorstellen, „dass man in dieser Zeit wirklich alle Schäden, die entstanden sind, beheben kann“. Dies könne seiner Einschätzung nach Jahrzehnte dauern, insbesondere, wenn man die Kathedrale originalgetreu wiederaufbauen wolle.
Dazu müssten auch die feingliedrigen Teile der Kirche wieder aus Steinblöcken gehauen werden, „und zwar von Handwerkern“, so Zehetner weiter. Diese Techniken seien zum Teil über 700 Jahre alt. Computer könnten heute zwar beim Fräsen helfen. Aber die Fertigstellung bleibe beim Handwerker. „Das macht ja auch einen Reiz bei originalgotischen Bauwerken wie Notre-Dame aus: dass in jedem Detail auch ein bisschen die Handschrift des Künstlers drinsteckt.“
Nicht viele Handwerker kommen für Mitarbeit am Wiederaufbau in Frage
Darüber hinaus weist der Dombaumeister darauf hin, dass es nicht viele Handwerker gebe, die für eine Mitarbeit am Wiederaufbau in Frage kämen - „in ganz Europa vielleicht einige hundert“. Ein weiteres Problem sei es, passende Material für einen originalgetreuen Wiederaufbau zu finden. Normalerweise versuche man, Stein aus der Umgebung zu nehmen, der schon beim ursprünglichen Bau verwendet wurde. „Nur denke ich, dass die Steinbrüche, die dieses Material geliefert haben, heute ausgeschöpft oder ausgebeutet oder zugebaut sind: Da stehen im Großraum Paris heute vielleicht Hochhäuser drauf.“ Daher halte er es im Fall von Notre-Dame für legitim, den von Geologen analysierten, passendsten Stein zu beschaffen, „etwa aus Indien oder Brasilien“.
Grundsätzlich sei es sein persönlicher Wunsch, so Zehetner, dass das „mittelalterliche Vorbild für viele Kathedralen, diese Monument der gotischen Architektur, eine Ikone“, möglichst originalgetreu wiederhergestellt werde. Er könne sich keine Plastik-Wasserspeier aus dem 3D-Drucker vorstellen.
DT/mlu
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