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Die fünfte Kolonne des Sultans

Viele Türken in Deutschland zeigen, dass dem türkischen Präsidenten Erdoğan ihre eigentliche Loyalität gehört. Nicht nur beim Länderspiel in Berlin.
Fußball Länderspiel Deutschland - Türkei
Foto: IMAGO/Revierfoto (www.imago-images.de) | Fußball Länderspiel Deutschland - Türkei am 18.11.2023 im Olympiastadion in Berlin: Türkische Anhänger zeigen die Flagge Palästinas im türkischen Fanblock.

Ins Stadion ist er nicht gegangen. Aber das musste der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan auch gar nicht. Wie Türken, die hier leben, zu ihrem Staatspräsidenten stehen, das haben sie schon an der Wahlurne gezeigt. Der Anteil derer, die für ihn gestimmt haben, war unter den Auslandstürken riesig.

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Aber für die deutsche Öffentlichkeit markiert das Länderspiel gegen die Türkei einen Einschnitt. Der Krawall, die Festnahmen, auch der Gruß der türkischen Nationalisten, das Zeichen der Grauen Wölfe, das dort zu sehen war – das alles ergibt für den deutschen Durchschnittsbürger langsam ein Gesamtbild: Die Türken, die hier leben, sind nur die fünfte Kolonne ihres Sultans. Erdoğan hätte gegen diese Deutung sicherlich nichts einzuwenden. Unterstriche sie doch seine politische Macht, die bis nach Deutschland reicht. Aber es ist alles komplizierter. 

Erdoğan, der ikonenhafte politischer Führer aller Türken

Zunächst einmal muss jetzt tatsächlich Schluss sein mit jeglicher Naivität. Die Türkei macht Politik mit ihren Landsleuten im Ausland. Und die lassen sich vielfach gerne dafür instrumentalisieren. Als erstes muss sich das im Umgang mit der Ditib zeigen, dem aus Ankara gesteuerten Moscheeverband. Dort sorgte jetzt erst wieder ein Auftritt eines Taliban aus Afghanistan für Aufregung. Der Verband distanzierte sich zwar im Nachhinein, aber was heißt das schon.

Gleichzeitig müssen wir aber auch sehen, diese anti-deutsche Haltung, die mit einem latenten türkischen Nationalismus einhergeht, wie jetzt bei dem Länderspiel, ist nicht automatisch mit einer hundertprozentigen Übereinstimmung mit  Erdoğan gleichzusetzen. Gerade die türkischen Nationalisten, die Grauen Wölfe, haben andere geistige Wurzeln als die AKP des Staatspräsidenten. Allerdings ist Erdoğan in den letzten Jahren mit den Nationalisten ein Bündnis eingegangen. Und er hat es geschafft, schon fast ikonenhaft, als politischer Führer aller Türken angesehen zu werden.

Kemal Atatürk lässt grüßen

Kemal Atatürk lässt grüßen. Der Gründer der Türkei hängt auch heute noch in vielen türkischen Wohnungen, auch in Deutschland. Ob damit auch immer eine tatsächliche Kenntnis der Ideologie von Atatürk einhergeht, ist eher fraglich. Es geht vor allem um die Sehnsucht nach dem großen charismatischen Führer. Genau die füllt Erdoğan. Nicht mehr und auch nicht weniger, und in der politischen Wirkungskraft ist das schon ziemlich viel. 

Was ist zu tun? Zunächst einmal muss die deutsche Gesellschaft begreifen, dass diese Türken, die dort randaliert haben, vielfach Deutsche sind. Die türkisch-stämmige Minderheit wird Deutschlands Zukunft mitbestimmen – so oder so. Bisher haben alle Parteien Vertreter dieser türkischen Minderheit gerne auf oberen Listenplätzen drapiert, um damit glänzen zu können, in der Hoffnung, so Wählerstimmen abzustauben. Dass sie sich dabei manches trojanisches Pferd in die Partei gezogen haben, fiel oft erst später auf. Deswegen: Schluss mit der Naivität und lernt türkische Geschichte.

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