Die Eingangszone der Würzburger Justizvollzugsanstalt ist dunkel, in der Mitte des Raumes steht ein Sicherheitsscanner zum Durchschreiten, wie am Flughafen. Eine Glasscheibe trennt das Büro der Polizeibeamten ab. „Heute sind schon fünf Neue gekommen.“ „Haben wir denn so viel Platz?“ „Nein, aber muss ja“, hört man zwei Kollegen sich unterhalten. 600 Insassen kommen in dem im Würzburger Industriegebiet liegenden Gefängnis unter. Es gibt einen Jugendbereich, ein Haus für die Frauen und eins für die Männer. Blickt man in den Innenhof, sieht man im Erdgeschoss des Gebäudes gegenüber Menschen in weißen T-Shirts hinter große Glasscheiben an langen Tischen arbeiten. Hier befinden sich die Werkhallen: Ein Kfz-Betrieb, eine Malerei, eine Schlosserei und eine Wäscherei. Autofirmen lassen Produktionsteile anfertigen und auch Unternehmen wie Playmobil geben Aufträge ab.
Und es gibt natürlich die Küche. „Die Köche freuen sich immer, wenn jemand inhaftiert wird, der beruflich in der Gastronomie tätig war“, erzählt Doris Schäfer, die katholische Seelsorgerin der JVA. „Grundsätzlich gilt, wer ,draußen‘ arbeitspflichtig ist, ist es bei uns auch.“ Neben der Tatsache, dass sie sich einen gewissen Geldbetrag für später ansparen sollten, bewahre die Arbeit die Insassen vor Langeweile. „Wir haben hier auch eine Abteilung für psychisch kranke Menschen. Denn viele Insassen bringen unabhängig von ihrer Tat psychische Probleme mit oder entwickeln sie während der Haftzeit“, so Schäfer. Am laufenden Band habe sie die Gefangenen einzeln auf dem großen Ledersofa in ihrem Büro sitzen, das zehn vergitterte Türen vom JVA-Eingang trennt.
Kinder der Häftlinge in Pflegefamilien
Neben ihrer Aufgabe, drei der monatlichen katholischen Gottesdienste im Mehrzweckraum vorzubereiten – den vierten übernähmen die evangelischen Kollegen – sei sie in erster Linie für die persönliche Begleitung da. „Viele Menschen hier glauben an Gott. Die Bibel ist stark gefragt. Manche sagen mir, sie seien im Leben schon oft enttäuscht worden – aber nie von Gott. Sehr viel geht es in Seelsorgegesprächen um Partnerschaftsprobleme. Um die Angst, dass der Partner draußen nicht wartet und sich wen neues sucht. Ein Thema bei Müttern sind außerdem häufig ihre Kinder, denn sie machen sich Sorgen um sie und vermissen sie. Wo es in der Familie niemand gibt, der die Kinder nehmen kann, kommen sie für gewöhnlich in Pflegefamilien unter, und die Insassinnen haben nur wenig Kontakt zu ihnen, gerade am Anfang“, sagt die 64-Jährige.
Auch komme oft die Beichte auf. Gerade Straftäter, die jemand etwas Schlechtes getan hätten, würden stark unter ihrer Schuld leiden. „Teilweise reicht es den Häftlingen, einer Person – also einer von uns Seelsorgerinnen – ihre Sünden gesagt zu haben. Sie verstehen nicht immer den Unterschied zwischen evangelisch und katholisch, Seelsorger und Priester“, berichtet die Würzburgerin. „Die sakramentale Beichte bei einem Priester machen wir auf Nachfrage natürlich möglich. Viele sind es jedoch auch von draußen nicht mehr gewohnt zu beichten. Es ist auch schwierig, ein Zeitfenster zu finden. Trotz der Hürden kommt es jedoch immer wieder zu Beichtgesprächen, die als sehr entlastend empfunden werden.“ Nach langjähriger Seelsorgeerfahrung glaube sie, dass die Insassen die Beichte nicht nötiger hätten als die Menschen ,auf freiem Fuß‘. „Klar, die Insassen sind nach dem Gesetz schuldig. Aber viele sind deswegen an sich keine bösen Menschen. Oft verketten sich unglückliche Umstände, die dann letztlich zu einer Handlungsweise führen, die sie hier landen lassen. Manchen sind die Auswirkungen ihres Tuns nicht sofort bewusst. Wie Gott ihr Leben bewertet, steht noch einmal auf einem ganz anderen Blatt.“
Weg vom weihnachtlichen Kommerz
Auf ihrem Schreibtisch stapeln sich weihnachtliche Geschenkpapiere, adventliche Papierservietten und dunkelrotes Geschenkband. Am 23. Dezember feierte die evangelische Landesbischöfin eine Weihnachtsmesse, am 24. hat Schäfer eine Weihnachtsfeier organisiert, an den Tagen danach standen Kartenspiel-Turniere auf dem Programm. „Es geht um Jesus. In der Weihnachtszeit tun wir uns gegenseitig Gutes, um seine Botschaft in die Welt zu tragen“, erzählt eine Insassin, die ihren Namen nicht sagen möchte. Dieses Jahr ist ihr zweites Weihnachten in Haft gewesen. „Die Weihnachtsfeier von der Frau Schäfer baut auf. Es bleibt etwas von der Liebe“, sagt die extrovertierte junge Frau begeistert. Sie kommt gerade aus der Arbeit in der Wäscherei, trägt noch ihre Arbeitskleidung, und verzichtet heute auf ihre Stunde Hofgang – die einzige Zeit des Tages an der frischen Luft – um von Weihnachten zu erzählen.
„Die Stockwerke sind festlich geschmückt, jeder fühlt mit jedem. An der Weihnachtsfeier fließen immer wieder Tränen, es gibt Versöhnungen. Ich habe auch viel geweint. Rechts und links nimmt man sich gegenseitig in die Arme. Wir haben nicht viel, aber unser Weniges teilen wir an Weihnachten, um anderen Mal ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Es geht nicht um den Kommerz, wie draußen, sondern um die besonderen Momente“. Andererseits seien die Festtage auch hart. „Man braucht ein gutes Buch, um durchzuhalten“, erinnert sich die orthodoxe Christin. Bis zum sechsten Januar ist das 250-köpfige Gefängnispersonal schwach besetzt, dementsprechend sind die Gefangenen ab 14 Uhr bis zum nächsten Tag in ihren wohnwagengroßen Einzelzimmern eingeschlossen. Zu Mittag kommt festliches Essen, das Abendbrot wird gleich mitgeliefert. Beides verspeist man alleine. „Wir Mädels auf meinem Flur haben uns alle Kekse und Tee von derselben Sorte gekauft. Damit wollen wir dann übers Fenster zum Innenhof raus anstoßen, haben wir schon abgesprochen“, sagt die Gefangene mit einem Augenzwinkern.
Manche klammern das Fest lieber ganz aus
Immer wieder wirft sie Doris Schäfer einen freundlichen Blick zu. „Wir sind Frau Schäfer wirklich dankbar, das kann ich im Namen aller Insassen sagen. Die kümmert sich so toll um uns und ermöglicht uns eine schöne Weihnachtsfeier. Wir haben es gut.“ Doch nicht auf allen Stationen feiere man, gibt Schäfer zu. „Für viele ist es eine schwere Zeit. Erinnerungen kommen hoch, wie man als Kind unter dem Tannenbaum saß, man vermisst die Familie. In manchen Stockwerken entscheiden die Insassen, das Fest ganz auszuklammern. Keine Deko, man spricht nicht drüber. Insgesamt ist die Stimmung zu Weihnachten gereizter und nervöser als sonst.“ Anrufe seien in den Weihnachtstagen nicht möglich, genauso wenig Besuche. Wenige Gefangene könnten Ausgang beantragen, von den 70 Frauen seien es maximal fünf. Die anderen feierten hinter der sechs Meter hohen und 1,1 km langen Mauer. Als Frau Schäfer die fröhliche Inhaftierte durch das Labyrinth versperrter Türen zurück in ihre Zelle begleitet, erklärt diese bestimmt: „Ich danke allen voran Jesus, für die vielen Gnaden, die er mir schenkt. Denn ohne ihn würde ich es hier niemals aushalten“.
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