Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat gestern eine Klage von acht Frauen (A.M. and others v. Poland, Nr. 4188/21) abgewiesen, die von dem Gerichtshof eine Entscheidung gegen die Abschaffung der eugenischen Abtreibung in Polen erwirken wollten. Wie es in einer Pressemitteilung des EMGR heißt, sei es bei den Beschwerden um „Einschränkungen des Abtreibungsrechts in Polen“ gegangen. Die Beschwerdeführerinnen hätten insbesondere geltend machen wollen, dass ihnen nach der Änderung des Rechtsrahmens im Jahr 2020 der Zugang zu einer legalen Abtreibung im Falle fötaler Anomalien faktisch verwehrt worden sei. Zum Hintergrund: Am 22. Oktober 2020 hatte der Verfassungsgerichtshof in Polen in einem Aufsehen erregenden Urteil feststellt, dass die eugenische Abtreibung gegen die Verfassungsgrundsätze der Achtung des menschlichen Lebens und der Menschenwürde verstößt, die jedem Menschen von Geburt an zukommt.
„European Center for Law and Justice“ (ECJL) lobt EGMR-Richter
Ohne sich in der Sache zu äußern, stellte der EGMR fest, die Klägerinnen hätten keine überzeugenden medizinischen Beweise dafür vorgelegt, dass sie tatsächlich Gefahr liefen, von den Gesetzesänderungen betroffen zu werden. Auch hätten sie keinerlei Unterlagen über ihre persönliche Situation vorgelegt, so dass es unmöglich gewesen sei, ihre individuelle Situation zu beurteilen. Die Folgen der Gesetzesänderungen seien für die Antragsteller somit zu weit entfernt und abstrakt, als dass sie sich als „Opfer“ im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention bezeichnen könnten.
Das „European Center for Law and Justice“ (ECLJ) begrüßte die Entscheidung der sieben Richter. Die Entscheidung sei „umso bemerkenswerter, als die Abtreibungslobby erheblichen Druck auf das Gericht – und sogar innerhalb des Gerichts – ausgeübt“ habe. So sei der Fall nicht nur „von der Polnischen Föderation für Frauen und Familienplanung (FEDERA) eingefädelt“ worden, sondern habe darüber hinaus auch „massive Unterstützung von Abtreibungslobbyisten weltweit“ erhalten. Beinahe „alle großen Abtreibungsbefürworter“ hätten sich in den Fall eingeschaltet, so etwa „Amnesty International, Human Rights Watch, Center for Reproductive Rights, International Commission of Jurists, International Federation for Human Rights, International Planned Parenthood Federation European Network, Women Enabled International, Women's Link Worldwide und World Organisation against Torture.
Die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen für die Diskriminierung von Frauen und Mädchen, deren Vorsitzende (Melissa Upreti) eine Mitarbeiterin des Zentrums für Reproduktive Rechte war, schaltete sich ebenfalls ein, ebenso wie der Menschenrechtskommissar des Europarates. Der Kommissar stützte sich auf einen Bericht, der 2017 vom Center for Reproductive Rights erstellt worden war. Die International Federation of Gynecology and Obstetrics (FIGO) unterstützte ebenfalls die Abtreibung, ebenso wie die Aktivistin Fiona de Londras. Alle Abtreibungsbefürworter plädierten dafür, dass der EGMR ein neues ,Recht‘ auf europäischer Ebene einführt: das Recht, ein Kind abzutreiben, weil es behindert ist, insbesondere wenn es das Down-Syndrom hat“, heißt es in der Stellungnahme des ECLJ.
Entscheidung im „gefährlichsten Fall“ steht noch bevor
Trotz all dieser „Bemühungen“ sei es „den Abtreibungsbefürwortern nicht gelungen, den Gerichtshof zu überzeugen“. In der Vergangenheit sei der Gerichtshof nicht immer so zurückhaltend gewesen und hätte in ähnlichen Fällen, die von demselben Zentrum für reproduktive Rechte unterstützt wurden, gegen Polen und Irland entschieden. Die aktuelle Entscheidung sei „zwar eine Niederlage für die Abtreibungslobbyisten, aber kein endgültiger Sieg für diejenigen, die sich für die Achtung des Lebens von Menschen mit Behinderungen einsetzen“.
Der gefährlichste Fall zu diesem Thema stehe noch bevor, und sein Urteil könnte in Kürze veröffentlicht werden (M.L. gegen Polen, Nr. 40119/21). Dabei gehe es um eine polnische Frau, die sich einer Form von Folter und der Verletzung ihrer Privatsphäre ausgesetzt sieht, weil sie in die Niederlande reisen und 1.220 Euro ausgeben musste, um ihr Kind mit Down-Syndrom im siebten Schwangerschaftsmonat abzutreiben.“ DT/reh
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.