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Bundesärztekammer für neuen Anlauf bei Widerspruchsregelung

Organentnahme auch ohne explizite Zustimmung? Auch „Marburger Bund“ und Intensivmediziner fordern den Paradigmenwechsel. Experten und Kirchen kritisieren das Modell.
Nahaufnahme von einem Organspendeausweis
Foto: IMAGO/Udo Herrmann | Bisher erlaubt nur ein ausgefüllter Organspendeausweis (wie hier im Bild) die Entnahme von Spenderorganen. Die Ärztekammer hat sich nun für eine Änderung im Sinne einer Widerspruchsregelung stark gemacht.

Anlässlich des deutschen Tags der Organspende, der jedes Jahr am ersten Samstag im Juni veranstaltet wird, appellieren Bundesärztekammer (BÄK), die Ärztegewerkschaft „Marburger Bund“ sowie Intensivmediziner an die Bundesregierung, die sogenannte Widerspruchregelung bei der Organspende einzuführen. „Wir brauchen einen verantwortungsvollen Weg, den Kreis der Spender zu erweitern“, erklärte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt. Bereits vorliegende Ausarbeitungen für eine Änderung des Transplantationsgesetzes böten dafür eine gute Grundlage.

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In der vergangenen, durch das Scheitern der Ampelregierung vorzeitig beendeten Legislaturperiode, hatte eine interfraktionelle Gruppe von Abgeordneten einen neuen Anlauf für die Einführung einer Widerspruchregelung bei der Organspende in Deutschland unternommen. Der „Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Einführung einer Widerspruchsregelung im Transplantationsgesetz“ (Bundestagsdrucksache 20/13804), hätte jeden Patienten im Falle eines diagnostizierten Hirntods zu einem potenziellen Organ- und Gewebespender gemacht, der dem nicht zuvor ausdrücklich widersprochen hätte.

Experten lehnen Widerspruchsregelung mehrheitlich ab

Bei einer Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss Ende Januar, nach der Ersten Lesung des Gesetzesentwurfs Anfang Dezember, hatten sich die geladenen Sachverständigen mehrheitlich gegen die Einführung einer Widerspruchsregelung ausgesprochen. So erklärte etwa die Göttinger Medizinethikerin Claudia Wiesemann, die Widerspruchsregelung sei ein Eingriff in die Selbstbestimmung der Person über ihren eigenen Körper. Wichtigstes Rechtfertigungsargument sei eine erhoffte deutliche Zunahme der Organspendenzahlen. Diese Hoffnung lasse sich jedoch empirisch nicht belegen. Es gebe vielmehr Anlass zur Sorge, dass die Zahl der Lebendorganspenden parallel zurückgehen werde. Das Hauptproblem sei die mangelhafte Meldebereitschaft der Krankenhäuser. Lösungsversuche müssten daher dort ansetzen.

Der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats Peter Dabrock, selbst Besitzer eines Organspendeausweises, kritisierte den Mangel an Aufrichtigkeit in der Debatte. Der Begriff „Widerspruchlösung“ insinuiere, dass das Verfahren in der Lage sei, die Lücke zwischen den benötigten und den erreichbaren Organen zu schließen. Das sei aber bereits aufgrund der Zunahme chronischer Erkrankungen wie der Alterung der Gesellschaft nicht Fall. Zur Ehrlichkeit gehöre das Eingeständnis, dass kein Verfahren eine Beendigung der Organknappheit herbeiführen könne. Auch unterminiere die Widerspruchsregelung den Charakter der Organspende als „freiwilliger Gabe“. Wer etwas wolle, müsse fragen. Schweigen sei keine Zustimmung.

Ähnlich äußerten sich die Kirchen. „Bei der Regelung der Organspende sollte – wie der Begriff schon ausdrückt – der Charakter einer freiwilligen Organspende im Sinne einer bewusst und höchstpersönlich getroffenen eigenen Entscheidung erhalten bleiben“, erklärten das Kommissariat der deutschen Bischöfe und die Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in einer gemeinsamen Stellungnahme.

Kritik an der Hirntod-Diagnostik

Während der Gießener Rechtswissenschaftler Steffen Augsberg verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einführung der Widerspruchsregelung geltend machte, kritisierte der Chirurg Andreas Weber, ehemaliges Mitglied eines chirurgischen Einsatzteams zur Organexplantation der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) in der Anhörung, dass die Interessen und Rechte des Organspenders in der öffentlichen Debatte unterrepräsentiert seien. Laut Weber gefährde die Widerspruchsregelung zudem das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient. Kritik äußerte der Chirurg auch an der Hirntoddiagnostik. Es gebe zahlreiche dokumentierte Fälle, dass zuvor als „hirntot“ diagnostizierte und zur Organentnahme freigegebene Patienten, kurz vor der Explantation noch Zeichen von Leben gezeigt hätten, so dass die Explantation abgebrochen werden musste.

All das und vieles mehr ficht die BÄK jedoch offenbar nicht an. Eine Widerspruchsregelung würde „ein starkes Signal der Solidarität senden“, erklärte BÄK-Präsident Reinhardt. Organspende sei ein sensibles Thema, und für viele Menschen wohl auch ein Tabu. Die Widerspruchslösung könne die gesellschaftliche Auseinandersetzung damit fördern. Auch die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft „Marburger Bund“, Susanne Johna, sprach sich für die Einführung der Widerspruchslösung bei der Organspende aus. „Zwar bekundet eine große Mehrheit der Deutschen ihre Bereitschaft zur Organspende, aber weniger als die Hälfte der Bevölkerung hat ihre Entscheidung zur Organ- und Gewebespende tatsächlich dokumentiert.“

Die Anzahl der Organspenden in Deutschland stagniere seit Jahren auf niedrigem Niveau, ohne dass eine Trendwende erkennbar sei, so Johna. Über die in den Niederlanden ansässige Vermittlungsstelle „Eurotransplant“ erhalte Deutschland überproportional viele Organe aus Ländern, in denen die Widerspruchslösung längst gelte. Ohne die Organspenden aus diesen Ländern wären die Wartelisten noch länger, würden noch mehr Menschen sterben, weil sie kein lebensrettendes Organ bekämen.

Die geltende Rechtslage in Deutschland

Die Einführung der Widerspruchslösung forderte auch die „Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensiv- und Notfallmedizin“ (DGIIN). Nur so könne dem anhaltenden Mangel an Spenderorganen in Deutschland wirksam begegnet werden. „Mit der Widerspruchslösung schaffen wir die Voraussetzungen, um deutlich mehr Leben zu retten“, erklärte DGIIN-Generalsekretär Uwe Janssens. Die DGIIN forderte den Deutschen Bundestag auf, die Widerspruchslösung erneut auf die Tagesordnung zu setzen.

Bislang gilt in Deutschland die sogenannte Entscheidungsregelung. Ihr zufolge dürfen für hirntot erklärten Patienten Organe und Gewebe nur entnommen werden, wenn die verstorbene Person dem zuvor ausdrücklich zugestimmt und dies dokumentiert hat. Liegt keine Entscheidung vor, werden die Angehörigen um eine Entscheidung gebeten. Menschen, die noch keine Entscheidung dokumentiert haben, bekommen regelmäßig Informationsmaterial zugesandt, um sie zu einer Entscheidung zu bewegen. Versterben Deutsche im Ausland, greift die Regelung des jeweiligen Landes, nicht die des Heimatlandes. (DT/reh)

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