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Aufarbeitung der Corona-Jahre nimmt Fahrt auf

Nach Auftritt bei „Markus Lanz“: Bundestagsvizepräsident Kubicki legt Bundesgesundheitsminister Lauterbach Rücktritt nahe.
Lauterbach und Kubicki
Foto: Florian Gaertner/photothek.de via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Einen ehrenvollen Rücktritt würde Karl Lauterbach niemand vorwerfen“, so Kubicki.

Bundesvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) fordert eine „rückhaltlose“ Aufarbeitung des Pandemie-Management in der Bundesrepublik Deutschland. Auf seinem Facebook-Account schreibt der FDP-Politiker: „Die deutsche Corona-Politik hat versagt, insbesondere bei den Kindern, denen mit bewusster Angsterzeugung Lebenschancen genommen wurden, und bei den Älteren, die zum Beispiel mit den Maßnahmen in Altenheimen menschenunwürdig behandelt wurden.“

Anlass für Kubickis Tweet ist die ZDF-Sendung „Markus Lanz“ vom 9. Februar, bei der es ebenfalls um die Aufarbeitung der Corona-Jahre ging. In der Sendung, die über die ZDF-Mediathek abgerufen werden kann, musste sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit schweren Vorwürfen auseinandersetzen, die die Journalisten Heribert Prantl und Markus Grill sowie die Ärztin Agnes Genewein erhoben.

Grill: „Rhetorik der Angst“

Prantl, Kolumnist der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ), warf Lauterbach unter anderem vor, sich „zu sehr an den Modellierern orientiert“ zu haben, deren Prognosen fasst immer falsch gewesen seien. Das Leben spiele sich eben nicht in Modellen, sondern in den Schulen und Elternhäusern ab. „Es wurden die Eltern nicht gehört, es wurden die Schülerinnen und Schüler nicht gehört. Es wurden die Lehrerinnen und Lehrer zu wenig gehört. Die Expertise war wirklich viel zu schmal. Das sagen auch heute alle, die interviewt werden, nur Sie sagen es noch nicht, Herr Lauterbach“, so Prantl.

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Der Chefreporter der Investigativressorts von NDR und WDR, Markus Grill, hielt Lauterbach vor, in der Pandemie mit einer „Rhetorik der Angst“ gearbeitet zu haben. Grill: „Sie tun halt so, als ob Sie immer auf Basis bester wissenschaftlicher Erkenntnis diskutieren. Und das war halt nicht so. Sie haben oft mit Angst argumentiert.“ Das sei generell eine „schlechte Art zu kommunizieren“, so der Journalist. Grill: „Ein guter Arzt nimmt Patienten unbegründete Ängste. Und ich finde, Politiker sollten nicht mit Ängsten operieren, die möglicherweise auf sehr wackeligen Beinen stehen.“

„Einen ehrenvollen Rücktritt würde Karl Lauterbach niemand vorwerfen“

In seinem Facebook-Beitrag, in dem Kubicki die Sendung als „bemerkenswert“ und „in Teilen ermutigend“ bezeichnete, geht der FDP-Politiker den Minister des Koalitionspartners SPD scharf an: Es sei „erschütternd“, mit „welchen Unwahrheiten Karl Lauterbach versucht, sein Restrenommee noch zu retten“, so Kubicki. Wenn der Bundesgesundheitsminister meine, „jetzt mit einer ,Schwamm-drüber-Mentalität‘ zur Tagesordnung übergehen zu können, dann wäre das für den demokratischen, rechtsstaatlichen und sozialen Aufarbeitungsprozess fatal. Das können wir nicht zulassen. Eine coronapolitische Aufarbeitung ist unerlässlich – und sie muss rückhaltlos geschehen. Einen ehrenvollen Rücktritt würde Karl Lauterbach niemand vorwerfen“, so Kubicki weiter.

In der ZDF-Sendung hatte Lauterbach einerseits erneut Fehler bei der Bekämpfung der Pandemie eingeräumt, andererseits die Corona-Politik der Bundesregierung aber auch vehement verteidigt: „Wenn wir die Maßnahmen nicht gemacht hätten, also den Lockdown und die Kontaktbeschränkungen, und wir hätten es einfach laufen lassen, dann wären in Deutschland ungefähr eine Million Menschen gestorben an Corona. Das kann doch nicht richtig sein“, meinte Lauterbach. Die Zahl der Menschen, die Deutschland stattdessen im Verlauf der Pandemie an Corona verstorben seien, bezifferte er bei „Markus Lanz“ auf „ungefähr 180.000“.

Prantl: „Am offenen Herzen des Rechtsstaats operiert“

SZ-Kolumnist Prantl hielt der Politik „Regelungsexzesse“ vor und erklärte: „Wir reden viel über Studien. Wir müssen auch über Grundrechte reden. Grundrechte heißen Grundrechte, weil sie ganz grundsätzlich wichtig sind. In der ersten Phase, in der wir noch nicht viel wussten, sind wir uns alles einig, dass Grundrechte eingeschränkt werden konnten und überwiegend auch mussten. In den späteren Phasen ist man mit den Grundrechten sehr lässlich umgegangen.“

„Wir haben in den letzten drei Jahren am offenen Herzen des Rechtsstaats, am offenen Herzen der Demokratie operiert.“ Ihm sei der Staat „noch nie so fremd“ gewesen, wie in dieser Zeit. Prantl: „Er war unbarmherzig und er ist mir manchmal unheimlich erschienenen, in der Art und Weise, wie er auftrat. Und das gilt für die Exekutive, für die Legislative und für die Judikative.“ Dem Bundesverfassungsgericht warf der SZ-Kolumnist, der selbst Staatsanwalt und Richter war, vor, „bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung unglaublich zurückhaltend“ gewesen zu sein.  DT/reh

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