Kommentar um "5 vor 12"

„Amnesty International“ beschädigt die Menschenrechte

Die orchestrierte Kampagne des Kreml verfängt: AI lässt Alexej Nawalny fallen.
Gerichtsprozess gegen Kremlkritiker Nawalny
Foto: Alexander Zemlianichenko (AP) | Oppositionsführer Alexej Nawalny steht in einem Käfig im Babuskinsky Bezirksgericht. Unter starken Sicherheitsvorkehrungen hat in der russischen Hauptstadt Moskau eine Berufungsverhandlung gegen den Kremlkritiker ...

Punktsieg für Putin: Seit Alexej Nawalny vergiftet, dann auf dem Flughafen in Moskau verhaftet und später in einem Schnellverfahren abgeurteilt wurde, setzen sich westliche Demokratien und Menschenrechtsorganisationen lautstark für das offensichtliche Regime- und Justizopfer ein. Sie sind mit Recht alarmiert, denn am Umgang mit Nawalny hat das „System Putin“ sein wahres Gesicht gezeigt.

Lesen Sie auch:

Diffamierungsarbeit hat Früchte getragen

Doch ausgerechnet „Amnesty International“ will Nawalny nun nicht länger als „politischen Gefangenen“ betrachten. Begründung: Er habe vor mehr als einem Jahrzehnt an nationalistischen und monarchistischen Aufmärschen teilgenommen, habe gegen Einwanderer, Muslime und Kaukasier polemisiert – und all das nie zurückgenommen. Bitte eine Runde Orden und Gehaltserhöhungen für die Meister der russischen Staatspropaganda! Ihre wochenlange, eifrige Diffamierungsarbeit hat Früchte getragen.

„Amnesty International“ versteht seine eigene Rolle nicht mehr. Beim Einsatz für politische Gefangene und Opfer von autokratischen Regimen geht es nicht darum, ob diese Personen für den Friedensnobelpreis oder eine Heiligsprechung in Frage kommen. Auch nicht darum, ob wir sie selbst wählen würden und an der Macht sehen wollen. Das wäre nämlich tatsächlich jene ausländische Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands, gegen die der Kreml oft und gerne polemisiert.

Worum es beim Einsatz für politische Häftlinge geht

Nein, beim Einsatz für politische Häftlinge und Opfer von Willkürherrschaft geht es darum, dass deren Grund- und Menschenrechte verletzt werden. Und zwar völlig unabhängig davon, ob sie so denken wie wir selbst, ob ihre politische Zielsetzung mit unserer harmoniert und ob sie uns sympathisch sind. Würde sich der Westen nur für jene Regime-Opfer einsetzen, die westliche Ideen verfolgen, würde er Freiheitskämpfer zu seinen Marionetten degradieren – und als westliche Agenten diskreditieren. Schlimmer noch: Es ginge ihm dann nicht mehr um Menschenrechte, sondern nur mehr um die eigenen Interessen. „Amnesty International“ hat nicht nur Nawalny geschadet, sondern auch der eigenen Arbeit – und am meisten dem Konzept universeller Menschenrechte.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Stephan Baier Alexej Nawalny Amnesty International Künstliche Intelligenz Menschenrechtsorganisationen Russische Regierung Wladimir Wladimirowitsch Putin

Weitere Artikel

Wladimir Putin trägt den Krieg nach Russland. Die Annexion von vier ukrainischen Regionen steht unmittelbar bevor.
29.09.2022, 07 Uhr
Stephan Baier
Ein Fußballer weigert sich, an einer Aktion „gegen Homophobie“ teilzunehmen – und verteidigt sein Recht auf freie Meinungsäußerung. Ein Gastkommentar von Jakob Cornides.
17.05.2023, 10 Uhr
Jakob Cornides
Vorsitzende der taiwanischen Menschenrechtskommission in Berlin – FDP-Politiker Heidt hält Einladung von Außenminister Joseph Wu nach Deutschland für möglich.
14.12.2022, 15 Uhr
Michael Leh

Kirche

Vor 1300 Jahren fällte der heilige Bonifatius in Hessen die Donareiche.
06.06.2023, 19 Uhr
Michael Karger
Rom sorgt für erstaunliche Meldungen. Die jüngste betrifft die Versetzung des ehemaligen Papstsekretärs als „Privatmann“ nach Freiburg.
04.06.2023, 11 Uhr
Guido Horst
Die ZdK-Vorsitzende sorgt sich um die Zukunft der deutschen Kirchenreform. Doch „wortbrüchig“ sind nicht die Bischöfe, sondern diejenigen, die ihre Vollmacht nun nicht mehr anerkennen wollen.
02.06.2023, 11 Uhr
Jakob Ranke
Abbé Thomas Diradourian spricht mit der „Tagespost“ über die Zukunft der Gemeinschaft Saint Martin in Deutschland.
02.06.2023, 16 Uhr
Manuel Hoppermann
Zwei Ratzinger-Preisträger und fundierte Experten beleuchten einen blinden Fleck der modernen Theologie: den Zorn Gottes.
06.06.2023, 08 Uhr
Vorabmeldung