Als Alexej Nawalny in Russland mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet und später in Deutschland gerettet wurde, stritt der Kreml jede Beteiligung daran ab, suggerierte gar, der Oppositionelle könne von ausländischen Mächten vergiftet worden sein. Präsident Wladimir Putin, der es vermeidet, den Namen seines Herausforderers auszusprechen, lachte einem Fragesteller vor großem Publikum ins Gesicht: Wenn es der Geheimdienst gewesen wäre, so Putin, dann hätte er den Job auch zu Ende gebracht. Als Nawalny nach seiner Genesung nach Moskau zurückkehrte, wurde er am Flughafen festgenommen und im Eilverfahren abgeurteilt. Die stille Botschaft all dieser Zeichenhandlungen lautet: So ergeht es Putin-Kritikern in Russland, und auch der Westen kann nichts dagegen machen. Doch was als Demonstration von Stärke gedacht war, wird immer mehr zu einem Zeichen von Schwäche.
Sie lassen sich nicht mehr einschüchtern
Zehntausende ließen sich nicht mehr einschüchtern, sondern gingen in vielen russischen Städten auf die Straße, um gegen Nawalnys Festnahme und die Korruption der Regierenden zu demonstrieren. Das Regime reagierte panisch: Etwa 3.700 friedliche Demonstranten von Putin öffentlich mit Terroristen verglichen - wurden unter Gewaltanwendung festgenommen. Darunter auch Nawalnys Ehefrau. Ein offenbar lange vorbereitetes Video über den angeblichen Palast Putins sorgt mittlerweile in Russland für so viel Furore, dass der Kreml es nicht mehr totschweigen kann. Nachdem das Video im Internet 91 Millionen mal aufgerufen worden war, beteuerte Putin, dass der Palast, der bisher 1,1 Milliarden Euro gekostet haben soll, weder ihm noch seinen engen Verwandten gehöre. Putin-Sprecher Peskow sagte, der Kreml habe kein Recht, die Eigentümer bekanntzugeben. Freilich, in Putins Russland haben die Bürger und Steuerzahler keinerlei Recht, die Korruptionsflüsse und die Verschwendung von Volksvermögen zu hinterfragen. Keine Antwort bekamen Journalisten auch auf Fragen, warum das Palast-Gelände vom Geheimdienst FSB und vom staatlichen Sicherheitsdienst FSO geschützt werde. Nawalnys Video legt nahe, dass der Palast aus Schmiergeldern von Oligarchen und Freunden des Präsidenten in den Staatsbetrieben finanziert worden sein soll.
Über die Korruption hätte die Europäische Union hinwegsehen können, nicht aber über die Menschenrechtsverletzungen. Bei den Beratungen der Außenminister der 27 EU-Staaten am Montag in Brüssel traten die Vertreter Polens, Estlands, Litauens und Lettlands für gezielte Sanktionen gegen das Regime in Moskau ein. Zur Diskussion stand, Vermögenswerte russischer Akteure einzufrieren und gezielte Einreiseverbote zu verhängen. Die deutsche Regierung, die trotz amerikanischer und osteuropäischer Bedenken an der Fertigstellung des Gaspipeline-Projekts "Nord Stream 2" festhält, plädierte dafür, erst einmal abzuwarten und auf ein Einlenken Moskaus zu hoffen. Man verurteile "das harte, unverhältnismäßige Vorgehen der russischen Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Es gebe aber keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Fall Nawalny und Nord Stream 2. "Rechtsstaatliche Prinzipien müssen auch dort gelten", meinte Außenminister Heiko Maas am Montag. Berlin erwarte, dass die Demonstranten freigelassen werden. Kritischer sieht das sein litauischer Amtskollege Gabrielius Landsbergis: "In Russland liegt Veränderung in der Luft. Das ist es, was Putin so nervös macht!"
Nächste Gerichtsverhandlung Anfang Februar
Für die EU wird nun ihr Außenbeauftragter Josep Borrell in der kommenden Woche nach Moskau fliegen, um dem russischen Außenminister Sergej Lawrow die Sicht des vereinten Europa darzulegen. Auf 2. Februar ist die nächste Gerichtsverhandlung zur Causa Nawalny in Moskau anberaumt. Erst Ende Februar werden die 27 Außenminister der EU-Staaten neuerlich über gezielte Sanktionen gegen die russische Führung beraten.
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