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Abtreibung: Todesursache oder Recht?

Wenn nicht mehr gesagt werden darf, dass Abtreibung Todesopfer fordert, ist die Meinungs- und Gewissensfreiheit bedroht.
Abtreibungsdebatte in Frankreich
Foto: IMAGO/Blondet Eliot/ABACA (www.imago-images.de) | "Im Jahr 2022 gab es in Frankreich 234.300 registrierte Abtreibungen. Laut dem Worldometer Institute ist dies auch die häufigste Todesursache weltweit", vermeldete der französische Sender CNews.

Man darf aus vielen Gründen darüber streiten, ob es aus Sicht des Lebensschutzes kommunikationsstrategisch sinnvoll ist, die Opfer der Abtreibung mit den Opfern von Krebs und Tabak ins Verhältnis zu setzen. „Im Jahr 2022 gab es in Frankreich 234.300 registrierte Abtreibungen. Laut dem Worldometer Institute ist dies auch die häufigste Todesursache weltweit: 73 Millionen im Jahr 2022, das heißt 52 Prozent aller Todesfälle“, lautet der Satz, der diese Woche zum schlimmsten Stein des Anstoßes der Französischen Republik geworden ist.

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Zumindest der Zeitpunkt war denkbar ungünstig gewählt. Drei Tage vor der Abstimmung im Senat über ein verfassungsmäßig garantiertes Recht auf Abtreibung eine Debatte dieser Größenordnung lostreten? In einem Moment, in dem die Macht des Affekts längst über das Argument triumphiert hat? Das musste wohl danebengehen. Der Sache selbst mag die Episode dann auch eher geschadet als genützt haben, stieg doch der mediale Druck auf die Senatoren in den Tagen vor der Abstimmung ins schier Unermessliche. Dort, wo vor einem Jahr noch 152 Senatoren gegen eine Aufnahme eines „Rechts“ auf Abtreibung in die Verfassung gestimmt haben, waren es am Mittwoch nur noch 50.

Ins Bewusstsein bringen, dass Abtreibung Todesopfer fordert

Schade, denn genau darum muss es Lebensschützern gehen: Wieder in das öffentliche Bewusstsein bringen, dass Abtreibung Todesopfer fordert. Denn inhaltlich ist die Aussage von Aymeric Pourbaix, Chefredakteur des katholischen Wochenmagazins „France Catholique“, während seiner wöchentlichen Sendung zu katholischen Themen dem Nachrichtensender „CNews“, völlig korrekt. 

Die Zahl selbst hat ja dann auch niemand angezweifelt, (wie auch, denn das Worldometer Institute zieht die Weltgesundheitsorganisation als Quelle heran), geschweige denn problematisiert. Allein das ist entlarvend: Dass hinter den 73 Millionen Abtreibungen 73 Millionen Frauen stehen, die sich einer wahrhaftig nicht vergnügungssteuerpflichtigen Prozedur unterworfen haben und womöglich lebenslang mit den Folgen kämpfen, übergehen die Reaktionen aus der Regierungspartei und dem linken Milieu eiskalt.

Wie lange werden sich Mediziner noch auf ihr Gewissen berufen dürfen?

Dabei wäre es seitens der Abtreibungsbefürworter eine Frage des minimalen Anstands, wahrzunehmen, dass nicht alle Abtreibungen ein autonom-feministisches Statement sind, sondern ein großer Teil der Frauen sich aus wirtschaftlichen oder familiären Gründen dazu gezwungen sieht. Damit ist die (aus Sicht des Lebensschutzes unbefriedigende, aber immerhin über Jahrzehnte stabile) Kompromisslösung endgültig hinfällig: Abtreibung ist kein Drama mehr, das alle Beteiligten nach Möglichkeit erspart werden sollte, sondern ein banaler medizinischer Akt und ein Grundrecht. Eine Frau, die möglicherweise unter einer durchlebten Abtreibung leidet, hat den Schuss nicht gehört.

Stattdessen gilt die Bezeichnung von Abtreibung als „Todesursache“ nun als unzulässige „Anti-Abtreibungspropaganda“, die unterbunden gehört. Gegen CNews wird nun ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ermitteln. Damit illustriert der Vorgang bilderbuchmäßig, welche Konsequenzen die Aufnahme der Abtreibung in die Verfassung für die Meinungsfreiheit nach sich ziehen wird. Die Aussage, Abtreibung fordere Todesopfer, könnte zukünftig nicht mehr von ihr gedeckt sein. Wie lange Mediziner sich unter diesen Bedingungen noch auf ihr Gewissen berufen dürfen, um die Durchführung einer Abtreibung zu verweigern?

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