Wenn der neuerliche Streit um den § 218 StGB ein Gutes hat, dann dass jetzt noch einmal alle Argumente auf den Tisch gelegt werden. Dass die Arbeitsgruppe „Möglichkeiten der Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches“ der von der Bundesregierung errichteten Kommission „Reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ mit dem „Bundesverband Lebensrecht“ (BVL) und der „Aktion Lebensrecht für Alle“ (ALfA) auch Lebensrechtler um Stellungnahme gebeten hat, mag angesichts des schamlosen Framings, das Vertreter der Ampelregierung bei der Streichung des § 219a StGB (Werbeverbot für Abtreibungen) an den Tag legten, überraschen, spricht aber für die Mitglieder dieser Arbeitsgruppe. Diese wollen sich offenbar entweder formal unangreifbar machen oder einfach anständig verhalten.
Beides ist zumindest ehrenwert. Was die für März geplante Expertise angeht, sollte man sich indes keine allzu großen Hoffnungen machen. Denn es ist praktisch undenkbar, dass die Arbeitsgruppe keinen Vorschlag unterbreiten wird, wie der Gesetzgeber die Vornahme vorgeburtlicher Kindstötungen außerhalb des Strafrechts regeln könnte.
Paradigmenwechsel der EKD ist ein Skandal
Wie die Lebensrechtler in ihren Stellungnahmen – streckenweise überaus eindrucksvoll – darlegen, würde dies jedoch nicht nur gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstoßen, sondern auch gegen zahlreiche internationale Abkommen, angefangen bei der UN-Kinderrechtskonvention über die EU-Grundrechtecharta, die Europäische Menschenrechtskonvention und das Völkerrecht. Aufgeräumt wird auch mit der Behauptung, die Vereinten Nationen hätten bei der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo (1994), vorgeburtliche Kindstötungen unter die reproduktiven Rechte aufgenommen. Richtig ist vielmehr das Gegenteil.
Vor allem aber würde der Wegfall eines prinzipiellen Verbots von Abtreibungen Menschen in zwei Klassen teilen: in solche, die der Staat vom Tötungsverbot generell ausnimmt und in solche, die weiterhin unter seinem Schutz stünden. Überraschen muss in diesem Zusammenhang die neue Haltung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der sich in seiner Stellungnahme für eine Fristenregelung bis zur 22. Woche post conceptionem ausspricht. Dieser zu Recht als „Paradigmenwechsel“ bezeichnete Positionswechsel ist ein echter Skandal. Zumindest für jene, die davon ausgehen, dass Gott der Schöpfer allen Lebens ist und der Mensch sein Ebenbild.
Mehr Hilfen und Begleitung für Frauen im Schwangerschaftskonflikt gefordert
Nicht vergessen werden sollte allerdings darüber, dass sowohl der Rat der EKD als auch die Lebensrechtler die sozialpolitische Dimension von Abtreibungen von der Politik stärker in den Blick genommen sehen wollen. Frauen im Schwangerschaftskonflikt brauchen mehr Hilfen und Begleitung, als ihnen von staatlicher Seite angeboten werden. Hier wäre ein Feld, auf dem sich Politiker der Ampelparteien profilieren könnten, statt so falsch wie gebetsmühlenhaft, die von niemandem bestrittene Selbstbestimmung von Frauen über ihren eigenen Körper in Anschlag zu bringen. In diesem Zusammenhang darf man wohl auch auf die noch ausstehende Stellung der Deutschen Bischofskonferenz gespannt sein.
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