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Wunderblutkirche in Bad Wilsnack: Santiago des Nordens

Wir schauen in die Wunderblutkirche in Bad Wilsnack. Sie war einst eine der bekanntesten Wallfahrtskirchen Europas. Bis heute zieht sie Pilger an.
Wunderblutkirche Bad Wilsnack
Foto: dpa | Die monumentale „Wunderblutkirche“ in Bad Wilsnack mit ihren prächtigen, mittelalterlichen Glasmalereien ist trotz aller historischen Umbrüche ein Ort, um dem lebendigen Christus zu begegnen.

Bad Wilsnack ist heute ein kleiner, beschaulicher Kurort in der Prignitz, ganz im Nordwesten Brandenburgs. Mit seinen unzähligen Fachwerkhäusern, viele von ihnen leicht windschief, aber ansehnlich restauriert, wirkt die Stadt, als würden hier die Uhren etwas langsamer ticken. Wer nicht gerade die gesunde Luft oder ein Bad in der heilsamen Moorerde genießt, findet oft nur zufällig den Weg in den Ort.

Wunderblutkirche in Bad Wilsnack
Wunderblutkirche in Bad Wilsnack.

Erst die gewaltige, auf den ersten Blick viel zu groß geratene Kirche lässt die Besucher erahnen, welche Bedeutung Wilsnack einst hatte. Hier drängten sich seit dem ausgehenden Mittelalter hunderte, manchmal tausende Pilger. Sie waren auf dem Weg zum „heiligen Blut“, das an dieser Stelle jahrhundertelang verehrt wurde. In der Hoffnung auf Heilung von ihren Leiden und Vergebung ihrer Sünden nahmen Menschen aus ganz Europa eine lange, gefährliche Reise auf sich. Wilsnack, das sich erst seit 1929 „Bad“ nennen darf, galt als einer der wichtigsten Wallfahrtsorte in ganz Europa. Bis heute trägt es den Titel „Santiago des Nordens“ – und das ist nicht übertrieben.

Blutstropfen auf Hostien

Die Geschichte des Wallfahrtsortes Wilsnack beginnt mit einer totalen Zerstörung. Der mecklenburgische Ritter Heinrich von Bülow lag schon länger im Streit mit den Bischöfen von Havelberg, und im August 1383 brannte er ganze elf Dörfer nieder, die das Bistum seinerzeit versorgten.

Als sich die Wilsnacker am 16. August 1383 beim alljährlichen Domweihfest in Havelberg aufhielten, setzten Heinrich und seine Soldaten alles in Brand, was sie vorfanden: Häuser, Scheunen und auch die kleine Dorfkirche. Nach ihrer Rückkehr fanden die Wilsnacker ihr Dorf völlig verwüstet wieder. Auch der damalige Pfarrer Johannes Calbuz stand vor den Trümmern seiner Kirche. Unter der Altarplatte hatte er noch drei konsekrierte Hostien aufbewahrt, doch ihm kam wohl nicht in den Sinn, dass sie die Feuersbrunst überlebt haben könnten. So ließ er sie in der Kirche zurück und konzentrierte sich darauf, das Erz der geschmolzenen Glocken zu retten. Die Erzählung besagt, dass Calbuz eine Stimme gehört haben soll, die ihn mehrmals aufforderte, auf dem zerstörten Altar eine Heilige Messe zu feiern. Beim dritten Mal folgte er der Aufforderung – und traute wohl seinen Augen nicht: In der Kirchenruine war der Altar mit einem Tuch bedeckt, auf dem drei fast unversehrte Hostien lagen. In ihrer Mitte war jeweils ein Blutstropfen zu erkennen.

Ein Ablassbrief vom Papst

Schnell erfuhr der Havelberger Bischof Dietrich II. davon. Bei einer Messfeier in Wilsnack soll er sich der Legende nach selbst von dem Blutwunder überzeugt haben, das sich in Windeseile sogar bis zum Papst herumsprach. Schon ein Jahr später schickte Urban VI. den ersten Ablassbrief. Das Hostienwunder war damit anerkannt, und wer die Bluthostien verehrte, dem wurden die Erlösung von seinen Leiden und Sünden versprochen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich diese Neuigkeit, und ein gewaltiger Strom an Pilgern setzte ein.

Schnell entdeckten die Wilsnacker, dass mit dem Wallfahrtsbetrieb das niedergebrannte Dorf zu neuem Wohlstand gelangen konnte. Häuser wurden wieder aufgebaut, in fast jedem entstand eine Herberge. Handwerker kamen in die Stadt und halfen mit, eine neue Kirche zu errichten. Sie ist der Vorläufer der heutigen „Wunderblutkirche“ und nur noch rudimentär erhalten. Erzählungen von Wunderheilungen verschafften dem Pilgerstrom weiteren Auftrieb. Noch im August 1383 soll Dietrich Wenkstern von seiner Burg in der Nähe von Wilsnack durchs Land geritten sein. Als er von den wundersamen Hostien erfuhr, verspottete er sie und äußerte sich seinen Begleitern gegenüber in abfälliger Weise. Sofort soll er daraufhin erblindet sein, stieg dann aber vom Pferd, betete zu Gott und gelobte, jedes Jahr mit 30 Leuten barfuß im wollenen Büßergewand nach Wilsnack zu pilgern und Opfer darzubringen, wenn er durch die Hilfe des heiligen Blutes wieder sehen könnte. Er konnte es.

Eine lukrative Einnahmequelle

Solche Blutwunder – neben Wilsnack und Walldürn sind vor allem die italienischen Orte Lanciano und Neapel dafür bekannt – sind umstritten und waren lange Zeit wissenschaftlich nicht überprüfbar. Heute weiß man, dass auch Bakterien oder Schimmelpilze Hostien rot färben können. Ob sich in Wilsnack wirklich Wunder zugetragen haben und wie viele Menschen – die ja zumeist in tiefem Glauben und in ehrlicher Absicht gepilgert sind – hier Heilung an Leib und Seele fanden, lässt sich nicht beziffern. Doch der Wallfahrtsbetrieb zog bereits zu seinen Hochzeiten Kritik auf sich. Insbesondere der Zeitgenosse Matthaeus Ludecus, der als erster protestantischer Domherr in Havelberg 1586 seine Schrift „Historia Von der erfindung/ Wunderwercken und zerstörung des vermeinten heiligen Bluts zur Wilßnagk“ veröffentlicht hat, hat wohl als junger Mann noch die Wallfahrt miterlebt.

Er beschreibt, wie aus aller Herren Länder die Pilger „als wenn sie all ihrer Vernunft beraubt wären“ ihre Arbeit zurückließen, den langen Pilgerweg voller Gefahren auf sich nahmen, bei der Präsentation der Bluthostien dicht gedrängt in der Kirche standen und reihenweise in Ohnmacht fielen. Manche verkauften gar Haus und Hof, um sich die weite Reise leisten zu können. Den Pilgern wurde dringend ans Herz gelegt, das Wilsnacker Pilgerzeichen zu kaufen. Der Handel florierte und wurde für das Havelberger Domkapitel zu einer lukrativen Einnahmequelle. Im 15. Jahrhundert schließlich wurde die erste Pilgerkirche zu klein. Die heute noch existente Kirche wurde in Angriff genommen, aber nicht mehr vollendet.

Todesstoß nach der Reformation

Denn die Reformation bahnte sich an – und mit ihr wuchs die Zahl der Zweifler. Neben dem später als Ketzer verbrannten Jan Hus gehörte auch Domherr Heinrich Tocke aus dem benachbarten damaligen Erzbistum Magdeburg zu den Kritikern der Wilsnacker Pilgerfahrt. Martin Luther kritisierte 1520 in seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ explizit auch das, wie er schrieb, „Teufels-Gespenst“ in Wilsnack.

Der erste evangelische Pfarrer im Ort, Joachim Ellefeld, versetzte mit einem Frevel der Pilgerfahrt den Todesstoß. Am 24. Mai 1552 betrat er nachts mit ein paar Begleitern die Kirche und verbrannte die Bluthostien im Feuer. Der Pilgerbetrieb war beendet, Wilsnack versank für Jahrhunderte weitgehend in der Bedeutungslosigkeit.

Heilung erfahren

Erst mit der Entdeckung der heilsamen Moorerde in den Wäldern rund um die Stadt gelangte der Ort Anfang des 20. Jahrhunderts zu neuem Wohlstand. Nach der „Wende“ vor 30 Jahren gelang es, für den Ort eine Perspektive als Thermalsole- und Moorbad zu finden. Auch die „Wunderblutkirche“ – eine polemische Bezeichnung, die auf die Kritiker der Wallfahrt zurückgeht, korrekt wäre etwa „Blutwunderkirche“ – hat hier ihren Platz gefunden. Bad Wilsnack soll nach Vorstellung der Stadt und der heutigen evangelischen Kirchengemeinde ein Ort sein, an dem Menschen Heilung erfahren.

„Echte Wunder erfahren“, mit diesem Slogan versucht die Stadt, beides miteinander zu verbinden. Doch neben dieser „säkularen“ Variante des Pilgerns legt die heutige Pfarrerin Anna Trapp Wert darauf, die spirituelle Dimension dieser besonderen Kirche wachzuhalten. So soll die Kapelle, in der einst die Bluthostien verwahrt wurden, mit neuen, künstlerisch gestalteten Kirchenfenstern ausgestattet werden, um dem kleinen Raum wieder seine besondere Würde und Ausstrahlung zurückzugeben. So ist auch für katholische Christen die monumentale „Wunderblutkirche“ mit ihren prächtigen Glasmalereien trotz aller historischen Umbrüche nach wie vor ein Ort, um dem lebendigen Christus zu begegnen.

Und wer sich zum Herrn auf den Weg machen will: Der Pilgerweg Berlin-Wilsnack führt auf 140 Kilometern durch idyllische Dörfer mit kleinen, malerischen Kirchen durch Brandenburg.

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