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Bodensee-Insel Reichenau: Gelebte Spiritualität

Gleich an drei Feiertagen besinnen sich die Bewohner der Bodensee-Insel Reichenau auf ihren Glauben – das nächste Mal im Juni beim Heilig-Blut-Fest.
Der Montag nach Pfingstmontag ist der höchste der drei Inselfeiertage
Foto: Frühauf | Der Montag nach Pfingstmontag ist der höchste der drei Inselfeiertage und gleichzeitig Pilgertag.

Silbrig glänzen die Blätter in der Sonne. Links und rechts – der über ein Kilometer langen Pappelallee – raschelt das Schilf, immer wieder blitzt das Wasser zwischen den Bäumen auf. Die weißen Sandbänke im Bodensee verleihen dem Bild fast schon mediterranes Flair. Bereits die Überfahrt über den vor rund 100 Jahren errichteten Damm ist herrlich. Dann passiert man auch schon die Kirche St. Georg und ist auf der Reichenau angekommen: der größten Insel im Bodensee. Hier beginnt die kleine Inselwelt der rund 3 200 Einwohner, auf der gleich drei geschichtsträchtige Kirchen zum Alltag und zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören. St. Georg wurde nach 888 durch Abt Hatto III. erbaut. Die Wandbilder im Kirchenschiff entstanden Ende des 10. Jahrhunderts und gehören zu den frühesten Zeugnissen ihrer Art nördlich der Alpen. Zwischen den drei Gotteshäusern aus dem Mittelalter gedeihen in den Gärtnereien, auf Feldern und Hängen, Gemüse, Kräuter und Wein.

Nur wenige Meter von der Kirche entfernt befindet sich der fast schon legendäre Fischimbiss „Bei Riebels“. Das Gemüse, das es dort als Beilage gibt, ist knackig und frisch. Die Reichenau steht definitiv auch für Genuss: für Felchen und Wein. Rund zwei Kilometer sind es zum Ortsteil Mittelzell und zum Münster St. Maria und Markus, der ältesten Kirche auf der Insel. Das Kloster wurde nach seiner wechselhaften Geschichte 1757 aufgelöst und heute keltert im Klosterkeller der Winzerverein den Reichenauer Wein. Es ist die Vergangenheit der früheren Klosterinsel, die sich in der Tradition der drei Festtage widerspiegelt. Neben dem Markusfest am 25. April und dem Heilig-Blut-Fest im Juni, am Montag nach dem Dreifaltigkeitssonntag, begeht man mitten im August, an Mariä Himmelfahrt, den dritten Inselfeiertag, an dem auf der Reichenau die Arbeit ruht, Geschäfte, Behörden, Schulen und Kindergärten geschlossen sind. „Auch wenn nicht alle Reichenauer an den Inselfeiertagen frei machen, haben diese bei uns eine große Bedeutung“, weiß Karl Wehrle als Inselbewohner und Chef des Reichenauer Tourismusvereins. Das Münster ist die größte der drei romanischen Kirchen auf der Insel. Ihre Nordseite grenzt an den Klostergarten, wo letztes Jahr am Heilig-Blut-Fest während der Corona Pandemie der Gottesdienst im Freien stattgefunden hat.

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Um fünf Uhr läuten die Glocken

Bereits um fünf Uhr morgens läuten an den Festtagen die Glocken des Münsters. Dieses „Schreckenläuten“ weckt die Inselbewohner und erinnert die Katholiken daran, rechtzeitig zum Gottesdienst zu kommen. „Dann heißt es Sonntagsstaat anziehen, Gewehr putzen, zumindest für die Mitglieder der Bürgerwehr, und los“, erzählt Karl Wehrle. Es gäbe kaum einen Insulaner, wie sich die Reichenauer nennen, der nicht in einem Verein oder im Chor aktiv sei. Doch nicht alle folgen dem Ruf der Glocken und bleiben zuhause oder gehen zur Arbeit – obwohl die meisten Einrichtungen auf der Insel geschlossen haben. Das Festprogramm ist an allen drei Feiertagen ähnlich und beginnt mit der Parade der historischen Bürgerwehr und dem anschließenden Gottesdienst (aktuelle Corona Maßnahmen beachten). Der Montag nach Pfingstmontag ist der höchste der drei Inselfeiertage und gleichzeitig Pilgertag. Er bezieht sich direkt auf eine Christus- oder Herrenreliquie, einer Reliquie, die direkt auf Jesus Christus hinweist. Sie wird im sogenannten Heilig-Blut-Altar im Münster verwahrt, den der Konstanzer Fürstbischof 1739 gestiftet hat, und ist ein kleines, aus vergoldetem Silber gearbeitetes byzantinisches Abtskreuz. Nach der Überlieferung soll es blutgetränkte Erde von Golgatha, Splitter vom Kreuz Christi und ein blutgetränktes seidenes Tüchlein enthalten. Die Vorderseite des Kreuzchens zeigt das Bild des Gekreuzigten. Die Rückseite enthält eine griechische Inschrift, um deren Deutung sich viele Wissenschaftler bemüht haben. Die Inschrift soll lauten: „Herr, hilf Hilarion, deinem Knecht und Vorsteher deines Klosters, dem Tzirithon“. Der Name und die Schreibart weisen auf das Ende des 9. Jahrhunderts als Entstehungszeit des Kreuzleins hin. Wer einen Blick ins Innere des Münsters wirft, findet im nördlichen Seitenschiff ein Ölgemälde, auf dem die feierliche Prozession dargestellt wird.

„Schon seit Jahrhunderten wird an Mariä Himmelfahrt eine Kräuterweihe vorgenommen“, so Tourismusmanager Wehrle. Jeder Kräuterstrauß sollte aus mindestens sieben verschiedenen Pflanzen bestehen – Symbol für die sieben Sakramente und sieben Schmerzen Mariens. Nach der Weihe werden die Sträuße dann zu Hause getrocknet und aufbewahrt. Sie sollen die Bewohner gegen Krankheiten, Unheil und Blitzschlag schützen. Im Inneren des Münsters am Hochaltar zeigt eine Szene die Krönung Marias im Himmel durch die Dreifaltigkeit, abgebildet auf dem obersten Bildfeld des Flügelaltars von Rudolf Stahel (1498).

Gebeine des Evangelisten Markus

Das Fest des heiligen Evangelisten Markus eröffnet den Reigen der Inselfeiertage im Jahreskalender. Die Gebeine des heiligen Evangelisten Markus kamen 830 nach Christus durch Bischof Ratold von Verona in die damals berühmte Benediktiner-Abtei. Sie befinden sich im Westchor des Münsters in einem wertvollen silbergetriebenen und vergoldeten Schrein aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts.

Karl Wehrle hofft, dass sich nach dem Gottesdienst am Heilig-Blut-Fest dieses Jahr wieder eine Prozession aus Bürgerwehr und Trachtengruppe in Bewegung setzen kann. Bereits das diesjährige Markusfest fand wie in alten Zeiten statt. „An unserem höchsten Inselfeiertag im letzten Jahr und auch beim Markusfest und an Mariä Himmelfahrt sind einige Traditionen Corona-bedingt weggefallen“, bedauert Wehrle. Ein Stückchen entfernt vom Münster, am Inselende, ragen die beiden Türme von St. Peter und Paul mit ihren roten Ziegeldächern in den Himmel. Hier steht die letzte der drei romanischen Kirchen der Insel, eine dreischiffige Basilika. Sie wurde im 11. Jahrhundert nach dem Abbruch der alten Peterskirche zum Teil auf den alten Grundmauern errichtet. Die Malerei in der Apsis stammt aus den Jahren 1104–1105 und zeigt die Majestas Domini, begleitet von den vier Evangelistensymbolen. Rechts und links huldigen Petrus und Paulus und in der Mitte finden sich die zwölf Apostel.

Wenn sich der Tag am Heilig-Blut-Fest dem Ende zuneigt, senkt sich die Sonne in der Ferne über's Hegau, während kleine Wellen ans Inselufer plätschern. Die Reichenau, auf der die Spiritualität fest verankert ist, ist eigentlich immer einen Besuch wert.

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