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Wann Kinder ein Smartphone brauchen

Gefahren erkennen, ohne die Technik zu verdammen: Elterninitiativen werben für eine Smartphone-freie Kindheit.
Kleiner Junge mit Smartphone
Foto: IMAGO/imageBROKER/Oleksandr Latkun (www.imago-images.de) | Eine völlige Abkehr vom Smartphone ist unrealistisch. Gerade für Kinder kann das Internet aber schädigend wirken - sei es durch Mobbing, Grooming oder Pornographie.

Kindern eine Smartphone-freie Kindheit ermöglichen, Eltern umfassend informieren und vernetzen: Das sind die Hauptanliegen mehrerer internationaler Elterninitiativen, die in den letzten Jahren entstanden sind. Weltweit befinden sich Eltern heutzutage in einem sozialen Dilemma, wenn es um das erste Smartphone für ihr Kind geht. Entweder sie schwimmen mit der Mehrheit mit, die Kindern immer früher ein eigenes internetfähiges Gerät mit all der Fülle an positiven wie negativen digitalen Inhalten in die Hand gibt oder sie müssen die Gefahr in Kauf nehmen, ihr Kind zu einem Außenseiter in Freundeskreis und Nachbarschaft zu machen.

Heutige Kindheiten würden immer kürzer, beklagt Rachel Harper gegenüber dem britischen „Guardian“; schon Neunjährige forderten ein Smartphone. Harper ist Direktorin der Saint-Patricks-Schule in der irischen Stadt Greystone. Auf ihre Initiative hin schlossen sich im Juni 2023 Eltern aller acht Grundschulen in Greystone zusammen, um gemeinsam bis zur siebten Klasse zu warten, bis ihre Kinder ein eigenes Smartphone erhalten. Für die Eltern wird durch die Vereinbarung einiges leichter, schildert Nikkie Barrie, Mutter eines Elfjährigen. „Dieser Code macht einen großen Unterschied in meinem Leben. Wenn ich weiß, dass 90 Prozent der Klasse einverstanden sind, macht es meine Aufgabe einfacher, Nein zu sagen.“

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Es ist keine leichte Entscheidung für Eltern, nimmt doch die Digitalisierung des Alltags spürbar zu. Die Bahncard ist demnächst nur noch digital zu haben, das Deutschlandticket fest auf dem Smartphone etabliert und die Kommunikation via Messenger-Gruppen im Fußballverein allgemein üblich. Auch in Studium und Beruf werden digitale Kompetenzen etwa im Umgang mit Videokonferenzen selbstverständlich vorausgesetzt. Einst papiergebundene Vorgänge wie Immatrikulation, Fächerbelegung oder Prüfungsanmeldung erfolgen längst online und die Einmalzahlung von 200 Euro für Studenten und Fachschüler aus dem dritten Entlastungspaket gab es nur nach Registrierung auf einer eigens kreierten Antragsplattform mit BundID-Konto, Online-Ausweis oder persönlichem ELSTER-Zertifikat.

Die Suche nach dem richtigen Zeitpunkt

Bei der Diskussion um den richtigen Zeitpunkt für das erste Smartphone müssen also nicht nur die zum Teil wenig bekannten Gefahren des Internets wie Cybermobbing, Cybergrooming oder Sexting, sondern auch die Vorbereitung der Kinder und Jugendlichen auf das spätere Erwachsenenleben im Fokus stehen. Demzufolge propagieren die Elterninitiativen auch keine völlige Abkehr von den handlichen Taschen-PCs. Vielmehr lauten Empfehlungen aus Schottland, Spanien, den Vereinigten Staaten oder Deutschland, mit dem ersten eigenen Smartphone je nach Initiative mindestens bis zum Alter von acht, zwölf oder vierzehn Jahren zu warten und Social Media erst ab sechzehn zu verwenden.

Hannah Oertel aus Edinburgh hat die Initiative „Delay Smartphones“ gegründet. Sie beruft sich für das Einstiegsalter von vierzehn Jahren auf Forschungsergebnisse zur psychischen Gesundheit von Kindern in englischsprachigen Ländern, die mehrere Studien analysieren und zusammenführen. Im Gespräch mit der „Tagespost“ erläutert die Vierzigjährige, dass der international renommierte Psychologe Jonathan Haidt von der New Yorker Stern School of Business eine enge Beziehung zwischen der Nutzung von Social Media in der Adoleszens und der Lebenszufriedenheit festgestellt hat.

Demnach sagte eine höhere Nutzung der sozialen Medien in der Adoleszenz einen Rückgang der Werte zur Lebenszufriedenheit ein Jahr später voraus. Eine Zusammenfassung des reichen Datenmaterials erscheint demnächst auf Deutsch. Haidts Buch „The Anxious Generation“ beschreibt, was Regierungen, Schulen und Eltern tun können, um Kindern ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen. In den Vereinigten Staaten stieß dies auf so großes Interesse, dass das Buch den ersten Platz auf der Bestsellerliste der New York Times einnahm.

„Medienmündigkeit“ mit 14?

Die bereits 2019 gegründete deutsche Initiative „Smarter Start mit 14“ führt zudem geltende gesetzliche Regelungen an. So beginnt die Strafmündigkeit nach Paragraf 19 StGB ab dem vierzehnten Geburtstag; erst dann werden Jugendliche unter bestimmten Voraussetzungen für ihre Taten verantwortlich gemacht und nach dem Jugendstrafrecht verurteilt. Auch die volle Religionsmündigkeit erhält man in Deutschland mit 14 Jahren, so dass Jugendliche ab diesem Alter selbst entscheiden dürfen, ob sie den Religionsunterricht einer bestimmten Konfession oder den Ethikunterricht besuchen möchten. Zudem erlaubt das Jugendarbeitsschutzgesetz ab dem Alter leichte Beschäftigungen. Das Jugendschutzgesetz schließlich regelt den Schutz von Kindern und Jugendlichen in der Öffentlichkeit anhand verschiedener Aufenthaltsbeschränkungen und -verbote, Abgabebeschränkungen sowie Alters- und Zeitgrenzen. Der deutsche Gesetzgeber und die Gesellschaft gehe „also selbstverständlich davon aus, dass Kinder und Jugendliche in besonderem Maße zu schützen und von potenziell jugendgefährdenden und jugendbeeinträchtigenden Produkten, Orten und Inhalten fernzuhalten sind“, betont Smarter Start mit 14 auf seiner Homepage. Vor diesem Hintergrund erscheine es geboten, auch eine Medienmündigkeit erst mit 14 Jahren anzunehmen.

„Delay Smartphones“ hat seit dem offiziellen Start Ende 2023 mit etwa 40 Familien an drei Edinburgher Schulen schon einiges erreicht. „Über 250 Freiwillige klären im ganzen Land Eltern und Schulen auf, wieso das Einstiegsalter beim ersten Smartphone mindestens 14 Jahre sein sollte. Mehr als 3.700 Eltern haben sich unserer Bewegung inzwischen angeschlossen, und in den von „Smartphone Free Childhood“ organisierten WhatsApp-Gruppen vernetzen sich bereits 75.000 Menschen“, berichtet Hannah Oertel. Die Mutter zweier Kinder im Alter von neun und elf Jahren ist inzwischen in Vollzeit für die Initiative tätig und plant als nächsten Schritt, auf die Politik zuzugehen.

Über Pornographie sprechen

Nach Oertels Erfahrung kennen viele Eltern weder den aktuellen Forschungsstand noch die reellen Gefährdungen, denen Kinder und Jugendliche im Internet ausgesetzt sind. Hier müsse man zunächst aufklären und den Eltern verdeutlichen, dass sie unbedingt mit ihrem Kind über Pornographie und andere schwierige Themen sprechen müssten. Der Wunsch der Eltern nach Sicherheit und das Verlangen der Kinder nach sozialer Kommunikation via Handy lasse sich alternativ mit einem internetfreien Handy oder einer SmartWatch erfüllen. Sowohl entsprechende Geräte als auch weitere Empfehlungen für den Einstieg in die Nutzung von Smartphones in der Familie stellt die Initiative auf ihrer Homepage vor.

„Hier geht es um eine der wichtigsten Entscheidungen in Ihrem Leben“, sagt Hannah Oertel abschließend. „Ermöglichen wir unseren Kindern eine Spiel-basierte Kindheit anstelle einer Phone-basierten und schützen wir die nächste Generation. Es geht wirklich darum, dass nicht die Technik uns benutzt, sondern dass wir die Technik benutzen – so wie wir jetzt per Videokonferenz trotz der großen Entfernung miteinander sprechen können.“ Schließlich lautet die wesentliche Aufgabe der Eltern bei der Medienerziehung ebenso wie in anderen Bereichen, die grundsätzliche Richtung vorzugeben und die eigenen Kinder kompetent und einfühlsam zu begleiten.

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Cornelia Huber Religionsmündigkeit

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