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TikTok Adé: Bidens brechbares Versprechen

Das geplante TikTok-Verbot in den USA ist zu kurz gedacht. Es braucht nachhaltige Aufklärung.
Das US-Repräsentantenhaus hat einen Gesetzentwurf verabschiedet, der die TikTok-App in den Vereinigten Staaten verbieten könnte.
Foto: Hasan Mrad (IMAGESLIVE via ZUMA Press Wire) | Das US-Repräsentantenhaus hat einen Gesetzentwurf verabschiedet, der die TikTok-App in den Vereinigten Staaten verbieten könnte.

Chinakritiker und die junge Wählerschaft: Offensichtlich versucht Joe Biden dieser Tage mit zwei unterschiedlichen Schuhen zu gehen. Einerseits hat sich der amtierende Präsident vor kurzem einen eigenen TikTok-Account angelegt, offenbar als Versuch, bei den 170 Millionen amerikanischen TikTok-Nutzern, die hauptsächlich jünger als 25 sind, wichtige Wähler abzugreifen.

Gleichzeitig unterstützt das Weiße Haus einen Gesetzesentwurf, der jetzt erfolgreich durch das Repräsentantenhaus gegangen ist. Biden lässt durchblicken, dass er den Füller zum Unterzeichnen quasi schon in den Fingern hält: Und damit bereit ist, das chinesische Unternehmen ByteDance in den nächsten 165 Tagen dazu zu zwingen, die Plattform an ein US-amerikanisches Unternehmen zu verkaufen – und die Kontrolle über TikToks berühmt-berüchtigten Algorithmus aufzugeben. Begründet ist diese Maßnahme mit den bekannten Vorwürfen von Desinformation und Spionage; kurz: Die App ist ein Sicherheitsrisiko.

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Trotz dieser realen Sorge hat das Gesetz schlechte Aussichten. Denn ähnliche Vorhaben von amerikanischen Gesetzgebern scheiterten stets am Argument der Meinungsfreiheit. „Manche von uns möchten nicht, dass der Präsident aussucht, welche Apps wir auf unsere Handys laden oder welche Webseiten wir besuchen möchten“, so der republikanische US-Repräsentant Thomas Massie.

Aufklärung statt unausgegorener Gesetze

An sich ist das natürlich richtig. Es gehört zum Bild eines mündigen Bürgers, dass dieser sich selbst aussucht, ob er eine App nutzen möchte oder nicht – genauso, wie er sich aussuchen darf, ob er eine Zigarette rauchen will oder nicht. Gleichzeitig sind die Technologien und Mechanismen auf den sozialen Medien und besonders TikTok etwas ganz Neues. Und bergen eventuell Risiken, die über die Entscheidungsgewalt des Einzelnen hinausgehen.

Es ist evident, dass soziale Medien wie TikTok sich negativ auf die Psyche auswirken können – und die Erfahrung legt nahe, dass Desinformation auf diesen Plattformen schnell und unkontrolliert verbreitet werden kann. Gerade junge Menschen, aber auch ältere, medienunerfahrene Menschen sind so für Manipulation anfällig. Aufklärung und Medienkompetenz stecken im Gegensatz dazu noch in den Kinderschuhen. Noch immer tendiert unsere Gesellschaft – in den USA wie hier – dazu, Kindern unkontrolliert Smartphones in die Hände zu geben; auch ist ein Handyverbot in Schulen noch nicht üblich, sodass Kinder, wenn nicht zuhause, höchstwahrscheinlich dort mit Inhalten konfrontiert werden, für die weder sie noch ihre Eltern sich „mündig“ entscheiden können.

Die Debatte um die Balance von Meinungsfreiheit und Sicherheit ist nicht nur in den USA relevant: Und sie ist notwendig, damit sich dieses Problem tief in Gesellschaft und Kultur verankert. Viel wichtiger als ein halbausgegorenes Gesetz, das wahrscheinlich nicht das Licht der Welt erblicken wird, wäre deshalb gezielte Aufklärung und ein Blick auf die Bildungssysteme, um junge Menschen zu kritischem Denken, demokratischem Selbstbewusstsein und dem Hinterfragen des eigenen Medienkonsums zu befähigen – auch um, wenn es nötig sein sollte, Unternehmen, die die nationale Sicherheit gefährden, die rote Karte zu zeigen. Aber das ist eine Mammutaufgabe, in einem Land, in dem die Lehrerausbildung in weiten Teilen ideologisch unterlaufen und die Finanzierung löchrig ist. Biden will, wie die Amerikaner dieses Pulverfass vor den Wahlen sicherlich nicht mehr aufmachen. Da fischt es sich mit kleineren brechbaren Versprechen leichter.

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