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Kindergrundsicherung: Verbände skeptisch

Familienverbände äußern sich kritisch zum Gesetzesentwurf zur Kindergrundsicherung.
Lisa Paus spricht bei einem Pressestatement zur Kindergrundsicherung
Foto: Michael Kappeler (dpa) | Lisa Paus (Bündnis90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, spricht bei einem Pressestatement zur Kindergrundsicherung. Verbände äußern sich kritisch zum Gesetzesentwurf.

Nach der Verabschiedung des Gesetzentwurfs zur Kindergrundsicherung im Kabinett zeigen sich Familienverbände überwiegend skeptisch. Die Einführung einer Kindergrundsicherung sehen sie grundsätzlich als einen positiven Ansatz, halten aber eine Verbesserung des Entwurfs im Gesetzgebungsverfahren für dringend erforderlich.
Nach Ansicht der evangelischen arbeitsgemeinschaft familie e.V. (eaf) habe die Ampel die Chance auf ein neu bemessenes, deutlich erhöhtes „ausreichendes Existenzminimum“ für Kinder, eine auskömmliche finanzielle Absicherung für soziale Teilhabe und ein gutes Aufwachsen für alle vertan. „Wir vermissen den politischen Willen für eine deutlich bessere Unterstützung von Kindern und Jugendlichen“, sagte Svenja Kraus, Bundesgeschäftsführerin der eaf, gegenüber der „Tagespost“. 

Den künftigen Kindergrundsicherungscheck, mit dem Familien von staatlicher Seite über Leistungen informiert werden sollen, die ihnen zustehen, begrüßt die eaf.„Wir erkennen den ernsthaften Versuch, zumindest verdeckte Armut durch den Kindergrundsicherungscheck zu verringern, an. Solange Kinder und Jugendliche aber nur Leistungen erhalten, die auf ein möglichst niedriges sozialrechtliches Minimum gedeckelt sind, kann eine ‚Kindergrundsicherung‘ nicht gelingen“, betonte Martin Bujard, Präsident der eaf. Der Versuch des Bundesfinanzministers bleibe, nicht mehr als zwei Milliarden Euro in die Reduktion von Armut fließen zu lassen. 

Fehlende Berücksichtigung von Mehrkindfamilien 

Nach Ansicht des Familienbunds der Katholiken (FDK) wurde das Ziel der Leistungsverbesserungen für Familien mit dem Entwurf weitgehend aufgegeben. Von rein begrifflichen Veränderungen könnten sich Familien nichts kaufen, so Präsident Ulrich Hoffmann. Für eine echte Kindergrundsicherung seien die zur Verfügung stehenden Mittel zu gering. Stattdessen solle man laut Hoffmann den Fokus auf eine Verbesserung des bestehenden Kinderzuschlags legen solle. „Hier könnte man die Voraussetzungen und das Antragsverfahren vereinfachen, den Zahlbetrag erhöhen und durch eine reduzierte Abschmelzrate dafür sorgen, dass erwerbstätige arme Familien von einem Zuverdienst mehr behalten können und dadurch in ihrer Selbstwirksamkeit gestärkt werden“. Konzentriert auf den Kinderzuschlag ließe sich viel für die Familien erreichen, die den dringendsten Bedarf hätten. Was die angestrebte Verwaltungsvereinfachung betrifft, sieht Hoffmann „viel Umstellung, aber wenig Vereinfachung und teilweise sogar eine Verkomplizierung“. Er forderte die Regierung dazu auf, die plausibel vorgetragene Kritik der Länder und Kommunen ernst zu nehmen und gemeinsam an einer überzeugenden Lösung für Familien zu arbeiten.

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Eine erfolgreiche Kindergrundsicherung erfordere eine umfassende Berücksichtigung der unterschiedlichen Familienkonstellationen, betont der Verband kinderreicher Familien Deutschland e.V. (KRFD) gegenüber der „Tagespost“. Kinderreiche Familien werden nicht annähernd in den Blick genommen, dabei sind Mehrkindfamilien neben Alleinerziehenden besonders armutsgefährdet“, bedauert der Verband. Der jetzige Gesetzesentwurf berge die Gefahr, verschiedene Familienformen gegeneinander abzuwägen. Wenn es zu einer Umverteilung innerhalb der Gruppe von Eltern kommen sollte, könne es, warnt der Verband, zur „Destabilisierung des Vertrauens von Teilen der Elternschaft in staatliche Entscheidungen, insbesondere im Hinblick auf Fragen zur Gegenfinanzierung der Kindergrundsicherung“ kommen.

Geeignete Wege, um (kinderreiche) Familien aus der Armutsfalle zu holen, sind nach Ansicht des KRVD eine gute Infrastruktur für Bildung, ein Zugang zu Mobilität bereits ab jungen Jahren und für jedes Familienmitglied, bezahlbarer, mehrkindfamilientauglicher Wohnraum sowie soziale Integration. Ergänzend hebt der Verband den unterschiedlichen Hintergrund von Mehrkindfamilien hervor: „81,2 Prozent der Kinder mit zwei und mehr Geschwistern wächst in einer Familie auf, in der die Eltern verheiratet sind. Die meisten Mehrkindfamilien gehören heute der Mittelschicht an. Rund 70 Prozent der Mehrkindmütter sind gut bis sehr gut ausgebildet.“ Auf diese Weise ergebe sich bei drei Kindern mit mittlerem Bildungsniveau ein positiver fiskalischer Gesamteffekt der Dreikindfamilie in Höhe von 126.900 Euro. Bei drei Kindern mit hohem Bildungsstand liege der Wert sogar bei 1,29 Millionen Euro für den Staat. 

Verengung der Familien- auf Sozialpolitik

Der Deutsche Familienverband (DFV) bemängelt in der Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesfamilienministeriums, dass die Kindergrundsicherung vor allem vom Sozialrecht her denke. Bei der Höhe der finanziellen Familienförderung müsse einerseits sichergestellt sein, dass sie Kinder aus armen Familien in existenzsichernder Höhe vor Armut schütze. Mit der Kindergrundsicherung setze sich aber die Verengung der Familienpolitik auf reine Sozialpolitik vor. „Wichtige Ziele wie die horizontale Steuer- und Abgabengerechtigkeit für Familien geraten in der Kindergrundsicherung aus dem Blick. Im Mittelpunkt des Entwurfs und des Finanztableaus steht nicht die generelle Erhöhung von Leistungen, sondern die Bündelung von Leistungen für einkommensschwache Familien durch die Einführung des Kinderzusatzbetrages“, heißt es in der Stellungnahme. 

Das an sich gute Ziel, dass mehr Familien die ihnen zustehenden Leistungen erhalten, sei „keine breitenwirksame neue Familienförderung, weil die große Mehrheit der Familien und vor allem auch belastete Mittelschichtfamilien mit mehreren Kindern dabei wenig oder keine Verbesserungen spüren werden.“ Des weiteren kritisiert der Verband den Namen „Kindergrundsicherung“ mit seinem Anklang an die bisherigen Grundsicherungssysteme. „Es macht nachdenklich, dass man für erwerbsfähige Erwachsene gerade ein neues Bürgergeld statt der Hartz-IV-Grundsicherung geschaffen hat, während man für Kinder das Kindergeld durch eine neue Grundsicherung ersetzen will.“ DT/chu

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