Gelegentlich hat man das Gefühl, dass Familien zunehmend aus dem Blick der Politik geraten. Nicht nur, dass das Familienbild, das sie vorgibt, inzwischen ein völlig anderes ist als das, was man klassisch als Vater-Mutter-Kind-Familie kennt. Auch geht es an vielen Stellen oft nicht mehr darum, die Institution der Familie zu schützen, den Kindern eine behütete Umgebung zu bereiten und auch Zeiten zuzulassen, in denen die Elternschaft nicht vorrangig den Interessen der Wirtschaft unterzuordnen ist. Hinter dem blumigen Begriff der Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbirgt sich oft ein Modell, das mehr Beruf ermöglichen soll und damit gleichzeitig weniger Familie schafft.
Familienlasten ausgleichen
Unter dem Stichwort „Familienlastenausgleich“ kennen wir bereits lange direkte und indirekte staatliche Transferleistungen an Familien mit Kindern. Das sind Maßnahmen, die dazu dienen sollen, die durch Geburt und Erziehung entstehenden finanziellen Lasten auszugleichen. Dabei geht es häufig um eine spezielle, familienfreundliche Gestaltung der Einkommensteuer, zum Beispiel das sogenannte Ehegattensplitting, die Zahlung von Kindergeld oder die Möglichkeit, Kinderfreibeträge steuerlich geltend zu machen. So soll ein Anreiz geschaffen werden, die in Deutschland in den letzten Jahrzehnten schlechten Geburtenraten anzuheben. Neben diesen bevölkerungspolitischen Zielen geht es aber auch darum, auf die Leistungsfähigkeit von Familien bei der Besteuerung ihre Einkommen Rücksicht zu nehmen. Eine weitere Aufgabe staatlicher Familienpolitik ist es allerdings, auch jene Leistungen zu kompensieren, die die Familien für die Gesellschaft erbringen, die aber nicht über den Markt abgegolten werden. Das wird oftmals als Familienleistungsausgleich definiert. Der 2020 von der damaligen SPD-Bundesfamilienministerin Franziska Giffey vorgelegte Familienreport beschreibt, in welchem Maße sich die staatlichen Leistungen für Familien in den letzten Jahren erhöht haben. Waren es 2009 noch gut 87 Milliarden Euro, stiegen die Aufwendungen im Jahr 2019 bereits auf 126 Milliarden Euro an. Der Familienreport 2020 zeigt auch, dass die Erwerbstätigkeit beider Elternteile zunimmt. Bei fast zwei Dritteln der Paarfamilien waren im Jahr 2018 beide Eltern erwerbstätig.
Ampel will Kindergrundsicherung
Die Ampelkoalition hat die Einführung einer Kindergrundsicherung auf ihre politische Agenda genommen. Das politische Ziel ist es, Kindern ihr neu zu definierendes soziokulturelles Existenzminimum zu sichern. Aus diesem Grunde sollen alle bisherigen finanziellen Unterstützungen wie das Kindergeld, Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets sowie der aktuelle Kinderzuschlag in einer Leistung gebündelt werden. Diese soll dann ohne bürokratische Hürden direkt bei den Kindern ankommen, heißt es im Koalitionsvertrag. Zur Überbrückung bis zur Umsetzung der Kindergrundsicherung hat Familienministerin Anne Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen) einen Kindersofortzuschlag für 2,7 Millionen Kinder aus Familien mit kleinem Einkommen angekündigt. Er soll sich als deutliches Plus im Geldbeutel auswirken. Die Koalition hat aber auch noch weitere Veränderungen angekündigt, die sich auf die Familien auswirken sollen: Dazu gehört ein zweiwöchiger Urlaub für Väter nach der Geburt eines Kindes ebenso wie die Verlängerung der Partner-Monate beim Elterngeld um einen Monat. Auch der Kündigungsschutz für Eltern nach der Geburt eines Kindes soll verbessert werden. Daneben soll es Erleichterungen für pflegende Angehörige geben.
Wachsende Belastungen
An vielen Stellen gibt es aber deutlich Luft nach oben, wie auch Forderungen aus verschiedenen Verbänden deutlich machen. Sebastian Heimann ist Bundesgeschäftsführer des Deutschen Familienverbandes (DFV). Er kritisiert im Gespräch mit der „Tagespost“, dass die Belastungen für die Familien in allen Bereichen der Lebensführung derzeit wachsen und dem keine sichtbare Entlastung entgegensteht. Er fordert eine Anhebung des Kindergeldes bis zur maximalen Wirkung des Kinderfreibetrages – das sind derzeit 340 Euro je Kind und Monat. Daneben müsse man die Kinderfreibeträge auch bei den Sozialabgaben wirksam werden lassen.
„Das wäre die einfachste Form einer Kindergrundsicherung, ohne dass erst etwas Neues geschaffen werden muss, das sich am Ende womöglich als alter Wein in neuen Schläuchen darstellt.“ Auch beim Elterngeld sieht Heimann Reformbedarf: „Hier hat man seit 35 Jahren an der Höhe nichts getan. Das entspricht einem Kaufkraftverlust von 30 Prozent.“ Dabei solle das Elterngeld einen Ausgleich schaffen, falls die Eltern weniger Einkommen haben, weil sie nach der Geburt zeitweise weniger oder gar nicht mehr arbeiten. So gelinge es, die finanzielle Lebensgrundlage der Familien zu sichern. Analog zum Kindergeld setzt sich Heimann für eine Erhöhung des Elterngeldes ab dem zweiten Kind ein. „Das würde besonders kinderreichen Familien helfen.“
Mehr finanzielle Unterstützung notwendig
Für den Bundesgeschäftsführer des Familienbundes der Katholiken, Matthias Dantlgraber, muss vor allem bei der finanziellen Unterstützung für Familien nachgebessert werden. Er sieht in der Zusammenfassung von Leistungen, unbürokratischeren Antragsverfahren und der stärkeren Förderung von Familien mit kleinen und mittleren Einkommen einen gangbaren Weg. „Der Begriff der Kindergrundsicherung ist allerdings unklar. Hier muss die Politik noch einmal deutlich sagen, was sie genau will“, stellt Dantlgraber fest. Auch für ihn ist das Elterngeld reformbedürftig. „Es muss so aufgestellt sein, dass es für die Eltern wirklich möglich wird, zugunsten der Kinder Arbeitszeiten phasenweise zurückzuschrauben“, die Politik habe zuletzt immer wieder die Anforderungen der Wirtschaft an einer schnellen Wiederaufnahme von Arbeit vor den Interessen der Familien betrachtet. Schließlich dürfe es auch zu keiner Absenkung der Kinderfreibeträge kommen, da das die bestehenden Gerechtigkeitslücken noch vergrößern würde. Auch in der Sozialversicherung müsse man darauf schauen, dass die Abgabenlast für Familien gesenkt wird. Ihr Beitrag für die umlagefinanzierten Sozialsysteme durch die Geburt und Erziehung ihrer Kinder müsse so angemessen gewürdigt werden.
Entlastung bei Sozialversicherungsbeiträgen
Den Blick auf die Sozialabgaben hatten beide Verbände unter anderem gemeinsam mit dem Bund Katholischer Unternehmer (BKU) bereits im Jahre 2020 in einer gemeinsamen Erklärung gerichtet. Damals forderten sie die deutliche Entlastung von Eltern bei den Beiträgen zur Rentenversicherung: „Der richtige Weg, Gerechtigkeit zwischen den Generationen herzustellen, ist eine Reduzierung der Rentenbeiträge für Familien in Abhängigkeit von der Kinderzahl“, betonte damals der BKU-Vorsitzende Ulrich Hemel. Die Leistungen von Familien würden in der Rentenversicherung nicht gerecht bewertet, hieß es in dem Papier, die sich daraus ergebende Gerechtigkeitslücke müsse geschlossen werden. Wer viele Kinder erziehe und daher weniger Erwerbsarbeit leisten könne, erhalte regelmäßig nur eine niedrige Rente. Bei denjenigen, die keine Kinder erziehen, sei das Verhältnis meist umgekehrt.
Familienarbeit werde in der Rentenversicherung nicht berücksichtigt, das müsse sich ändern, so die Verbände. Die Politik sei gefordert, „Lösungen zu entwickeln, die nachhaltig wirken und im Sinne der Christlichen Soziallehre die richtige Balance der Belastung zwischen Person, Unternehmen und Staat finden“, so Hemel. Der Unternehmerverband macht sich deshalb für eine Ermäßigung der Rentenversicherungsbeiträge beim Arbeitnehmerbeitrag der Eltern von zwei Prozentpunkten je Kind stark.
Unterstützungsbedarf beim Wohnen
Der Verband kinderreicher Familien wiederum sieht Unterstützungsbedarf vor allem beim Thema Wohnen. Familien mit drei oder mehr Kindern pro Haushalt würden weder beim Wohnungsbau noch auf dem Mietmarkt ausreichend Berücksichtigung finden, lautet die Kritik. Deshalb fordert die Verbands-Vorsitzende Elisabeth Müller die Bundesregierung dazu auf, „beim (sozialen) Wohnungsbau und bei der Eigenheimförderung an kinderreiche Familien zu denken und mehrkindtauglichen und vor allem auch finanzierbaren Wohnraum bereitzustellen“.
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