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Arbeitsrechtler: Familie und Beruf müssen versöhnt werden

Das Österreichische Bundeskanzleramt stellt Themen aus dem 6. Österreichischen Familienbericht vor. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gilt dabei als zentrale Herausforderung.
Homeoffice mit Kind
Foto: Christian Beutler (KEYSTONE) | Eine Frau sitzt im Homeoffice an ihrem Laptop und telefoniert, während ihr Kind neben ihr in einem Kinderstuhl am Tisch sitzt.

Anlässlich der ersten Veranstaltung der Reihe „Familienpolitische Gespräche“ hat die österreichische Familienministerin Susanne Raab die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf als zentrale Herausforderung bezeichnet. In der Veranstaltungsreihe stellt das Bundeskanzleramt, Sektion Familie und Jugend den 6. Österreichischen Familienbericht vor, der alle zehn Jahre erscheint, und ergänzt ihn mit aktuellen Studien. Die "Familienpolitischen Gespräche" fanden pandemiebedingt im Online-Format statt.

Familienpolitische Gespräche
Foto: Bundeskanzleramt – Sektion Familie und Jugend | Eva Maria Schmidt von der Universität Wien zusammen mit dem Arbeitsrechtsexperten Wolfgang Mazal (digital zugeschaltet), rechts Bernadett Humer, Sektionsleiterin im Ministerium für Familie und Jugend.

Sie wünsche sich, so Raab, einen offenen Diskurs über die Rahmenbedingungen für ein gelungenes Familienleben. Die Politik sei für die finanziellen Leistungen und den Ausbau der Kinderbetreuung zuständig, trage aber nicht die alleinige Verantwortung. Auch Gemeinden und vor allem Unternehmen seien gefragt, die Rahmenbedingungen kontinuierlich zu optimieren. 

Diskrepanz zwischen Wunsch und Anforderung 

Der Präsident des Instituts für Familienforschung und bekannte Arbeitsrechtsexperte Wolfgang Mazal startete mit einer Analyse des Status Quo. Er sieht arbeitsrechtlich eine starke Diskrepanz zwischen dem „was Familien wollen“ und „was Familien sollen“. Familien wollen laut allen Studien, so Mazal, mehr Zeit für das gemeinsame Leben haben. Dagegen sprächen aber die Zahlen, die eine deutlich höhere Erwerbsarbeit bei Frauen und Männer ausweisen. Interessant dabei sei, dass sich weniger Frauen als vor zehn Jahren eine größere Beteiligung von Vätern an der Hausarbeit wünschen.

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Mazal interpretiert das so: „Offensichtlich beteiligen sich heute schon mehr Männer aktiv am Familienleben, was dazu führt, dass es sowohl Väter als auch Mütter besonders mit schulpflichtigen Kindern „zerreißt“ bei dem Versuch, Familie und Arbeitsleben zu vereinbaren“. Der Arbeitsrechtsexperte stößt sich auch an dem Begriff „Vereinbarkeit“ und schlägt vor, so wie im englischen Sprachgebrauch („reconciliation“) von Versöhnung von Familie und Arbeitswelt zu sprechen. 

Familienfreundliche Unternehmen stehen besser dar

Für die „Versöhnung“ von Familie und Beruf plädierte der Arbeitsrechtler auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht. „Es gibt valide Kennziffern, die besagen, dass Familienfreundlichkeit auch ein Asset für Unternehmen darstellt.“ Als familienfreundlich zertifizierte Unternehmen dürfen sich über 36 Prozent mehr Bewerbungen freuen, registrieren 13 Prozent weniger Fehlzeiten, eine geringere Fluktuation und eine damit verbundene höhere Kundenbindung. „Wer Diversität ernst nimmt, erhält einen Mehrwert an Kreativität. Das Bild vom Arbeitnehmer, der 40 Stunden Plus arbeitet, muss auch in den Vorstandsetagen geändert werden“, so Mazal.  

Familien sollen ihr Leben selbst gestalten können

Eva Maria Schmidt von der Universität Wien berichtet auf Basis von Studien, Einzelinterviews und Gruppendiskussionen, dass sich zwar der Prozentsatz der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit von Männern und Frauen angenähert habe, aber die Teilzeitquote bei Frauen bis zu 60 Prozent liege, während jene der Männer sich knapp im zweistelligen Bereich (10,7 Prozent) bewege. 

Positiv merkt Schmidt an, dass die Teilzeitquote von Frauen in Führungspositionen in den letzten Jahren von 8 auf 20 Prozent gestiegen ist. Sie weiß auch zu berichten, dass 90 Prozent der weiblichen Teilzeitkräfte auch dann nicht in Vollzeit wechseln würden, wenn die Kinderbetreuung optimiert wird. Dieser Prozentsatz sei seit 2005 stabil. Sie ist überzeugt, dass Geschlechtergleichstellung nur auf Kosten der Wahlfreiheit erreicht werden könne, etwa dadurch, dass die Karenzzeit zu gleichen Teilen genommen werden muss. Mazal dazu: „Lasst die Eltern von kleinen Kindern in Ruhe und sie selbst entscheiden, wie sie ihr Familienleben gestalten wollen.“ 

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Alice Pitzinger-Ryba Bundeskanzleramt Vereinbarkeit von Familie und Beruf

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