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Ein Zeugnis der Geschichte

Haiti: Ein brutales Feuer hat die Kapelle der Unbefleckten Empfängnis von Milot zerstört.
Milot
Foto: Foto: | War es eine vermeidbare Tragödie? Ein brutales Feuer hat die Kapelle der Unbefleckten Empfängnis von Milot auf Haiti zerstört. (Foto: PAST/unesco.org)

Am 15. April jährte sich jener Brand, der im vergangenen Jahr die ganze Welt schockierte und schwere Schäden an der Kathedrale Notre-Dame in Paris anrichtete. Das Medienecho und die weltweite Anteilnahme angesichts der Verwüstung des Weltkulturerbes waren gewaltig. Fast auf den Tag genau ein Jahr später verschlang nun in Haiti, dem ärmsten Land Lateinamerikas, ein brutales Feuer die Kapelle der Unbefleckten Empfängnis von Milot und verwandelte eine der ältesten Kirchen des Landes, die ebenfalls zum Weltkulturerbe gehört, in eine Ruine. Doch kaum jemand nimmt Notiz von dem Drama – die Welt ist mit sich selbst und der Corona-Pandemie beschäftigt.

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Der Brand in der königlichen Kapelle von Milot brach am frühen Montagmorgen des 13. April aus. Zwölf Stunden wüteten die Flammen und verursachten den Zusammenbruch der 30-Meter-Kuppel der Kapelle. Auch die Inneneinrichtung wurde fast vollständig zerstört. Bis auf einige Bänke hätte nichts gerettet werden können, sagte Patrick Durandis, Direktor des Instituts zum Schutz des Nationalen Erbes (Institut de Sauvegarde du Patrimoine National, ISPAN) gegenüber der Presse.

Die Ursache für den Brand ist noch unklar

Die Ursache für den Brand ist weiterhin unklar. Eine Untersuchung der haitianischen Regierung laufe, bestätigte Kulturminister Pradel Henríquez. „Die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen. Die Leute werden derzeit befragt“, erklärte Henríquez. Auch die Art des Feuers werde untersucht.

Der Bürgermeister von Milot, Jacques Bernadin, erklärte, die Polizei sei gegen drei Uhr morgens Ortszeit über den Brand, der in einem Nebengebäude begann, informiert worden und habe schnell die Feuerwehr gerufen. „Wegen der Holzdecke konnte die jedoch nichts tun, um die Kirche zu retten.“ Durandis deutet an, dass es sich um Brandstiftung gehandelt haben könne. „Samstag und Sonntag gab es in Milot keinen Strom, daher fällt es mir schwer zu verstehen, dass die Kuppel der Kirche Feuer gefangen hat. Wir können nicht sagen, dass es sich um einen Kurzschluss handelt. Es muss untersucht werden. Selbst der Park war wegen der Coronavirus-Epidemie geschlossen.“

Identische Restaurierung wird schwierig

Die Kirche von Milot ist Teil des großen historischen Parks der Zitadelle von La Ferriere, zwanzig Kilometer südlich von Cap-Haitien, der zweitgrößten Stadt des Landes. Die Kapelle befindet sich unterhalb der Ruinen des Sans-Souci-Palastes. Name und Bauweise des Schlosses, von dem nur noch Ruinen stehen, sind dem Schloss Sanssouci des Preußenkönigs Friedrich II. in Potsdam nachempfunden. Die Milot-Kirche wurde zwischen 1810 und 1813 von Henri Christophe erbaut.

Dieser kämpfte in der Haitianischen Revolution gegen die Franzosen. Später führte er einen Aufstand gegen Jean-Jacques Dessalines, den ersten Generalgouverneur der unabhängigen Republik Haiti und Kaiser des Kaiserreichs Haiti (1804–06) und ließ diesen ermorden. Christophe erklärte sich selbst zum König Heinrich I. und regierte autokratisch über Nordhaiti, bis er 1820 in einem langwierigen Bürgerkrieg durch Selbstmord starb.

Nach Zerstörungen durch ein starkes Erdbeben im Norden Haitis wurde die Milot-Kirche in den 1930er Jahren wieder aufgebaut. Den Park mit der Zitadelle La Ferriere, SansSouci und der Kirche erklärte die UNESCO 1982 zum Weltkulturerbe. Im Jahr 2017 schließlich sanierte das ISPAN die 30-Meter-Kuppel des Tempels vollständig. „Da es sich um ein Denkmal handelt, das zum Weltkulturerbe gehört, muss die Restaurierung identisch sein und die Mittel dafür stehen nicht zur Verfügung, daran besteht kein Zweifel. Ich kann Ihnen also bereits sagen, dass wir viel rudern werden müssen, um das Denkmal so zu restaurieren, wie es war“, zeigt sich Durandis angesichts der Zerstörung skeptisch.

Vermeidbare Tragödie

Auch der stellvertretende Generaldirektor für Kultur der UNESCO, Ernesto Ottone, äußerte sich besorgt. „Wir stehen in Kontakt mit dem ISPAN, das derzeit eine erste Bewertung der durch den Brand verursachten Schäden durchführt.“ Er hoffe, „dass trotz der auch in Haiti auferlegten Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie es möglich sein wird, zunächst die Situation und die erforderlichen Maßnahmen genau zu analysieren, und dann Lösungen in Betracht zu ziehen, die dem herausragenden universellen Wert des Gebäudes entsprechen. Wir stehen in diesem Drama Haiti natürlich zur Seite.“

Kulturschaffende in Haiti beschrieben die Zerstörung der mehr als 200 Jahre alten Kirche als vermeidbare Tragödie. Sie zeige die Fragilität des kulturellen Erbes des Landes und die Notwendigkeit, es zu bewahren. „[Seit Jahren] fordern wir den Staat auf, den Schutz dieser Kolonialbauten zu gewährleisten, (…) aber es wurde nichts unternommen“, sagte Laënnec Hurbon, Soziologe an der Staatlichen Universität von Haiti gegenüber dem britischen Guardian. „Der Staat verbringt seine Zeit damit, Luxusautos für Minister, Funktionäre und Parlamentarier zu kaufen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass alles, was das nationale Erbe betrifft, aufgegeben wird.“

Haiti ist zudem seit Monaten von oft gewaltsamen Unruhen erschüttert, die durch einen gewaltigen Korruptionsskandal rund um die Regierung von Präsident Jovenel Moise ausgelöst wurden. Daher gibt es Befürchtungen, der Wiederaufbau der Kirche könnte inmitten der aktuellen politischen Konflikte in Haiti in den Hintergrund treten.

Die Kirche eint die Menschen auf Haiti

Trotz der politischen Auseinandersetzungen scheint die Kirche aber über Parteigrenzen hinweg die Menschen zu einen. In einem offenen Brief forderten Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft die Regierung auf, „diese Verleugnung unserer Geschichte als Volk zu stoppen, da nur diese Denkmäler übrig bleiben, als Zeugnisse unserer Geschichte von Kämpfen, Leiden und Hoffnung.“

Ex-Präsident Prosper Avril, der das Land de facto zwischen 1988 und 1990 regierte, forderte eine Taskforce zum Schutz des kulturellen Erbes des Landes. „Die königliche Kapelle von Milot ist ein Zeugnis der Geschichte unseres Volkes“, sagte Erol Josué, Direktor des Nationalen Büros für Ethnologie in Haiti (BNE). „Der haitianische Staat sollte alle Schichten der Bevölkerung in den Wiederaufbau einbeziehen, denn dies ist unser Erbe.“

Derweil riefen Bewohner und Politiker in Milot die Behörden auf, die Ursachen für den Brand aufzuklären. „Die königliche Kapelle von Milot ist ein historisches Denkmal in Haiti und für mich und die Haitianer sehr wichtig“, sagte der Musiker und Oppositionspolitiker Werley Nortreus in einem Radiointerview. „Es ist traurig, dass dieser Ort durch ein unbekanntes Feuer zerstört wurde. Wie genau hat das Feuer begonnen? Diese Tragödie muss sofort untersucht werden, um die für das Verbrechen Verantwortlichen zu bestrafen.“

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