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Die kleine Basilika von San Clemente

Wie die „Teigblätter einer Lasagne“: Was die kleine Basilika von San Clemente so besonders macht.
Kirche San Clemente: Goldglänzende Apsismosaik mit gekreuzigtem Christus
Foto: photoauszeit/Wu | Beeindruckend in der Kirche San Clemente ist auch das goldglänzende Apsismosaik mit seinen Rebstöcken, die den gekreuzigten Christus im Zentrum umranken.

Nein, sie ist keine der sieben großen Pilgerkirchen Roms. Auch liegt sie nicht so spektakulär wie die Trinita dei Monti am Ende der Spanischen Treppe oder protzt mit einem berühmten Namen wie San Pietro in Vincoli mit seinem Moses von Michelangelo. Und dennoch ist Roma aeterna, das ewige Rom, wohl nirgends eindrücklicher zu erfahren, als in der kleinen Basilika von San Clemente. Von heute bis in die ersten Jahrzehnte der römischen Christengemeinde reichen die Spuren zurück, die sich hier nicht nur erhalten haben, sondern auch stockwerkweise begehbar sind. In Schichten übereinander liegen sie wie die Teigblätter einer Lasagne und wie in einer Zeitmaschine geht es durch die verschiedenen Lagen zurück; entgegen dem Uhrzeigersinn, denn das Jüngste findet sich zuoberst, das Älteste ruht in der Tiefe; zwanzig Meter unter dem gegenwärtigen Straßenniveau.

Keine zehn Gehminuten vom Kolosseum entfernt liegt die Kirche des Heiligen Clemens von Rom. Der schmucklose Ziegelbau aus dem 12. Jahrhundert erhebt sich zwischen der heutzutage wieder stark befahrenen, antiken Via Labicana und dem zum Lateran führenden Pilgerweg. Dieser entstand erst im Mittelalter, als sich das Zentrum der Stadt aufgrund des Bevölkerungsrückgangs nach Norden auf das Marsfeld verlagert hatte. Ansonsten erstreckten sich damals in dieser Gegend nur Weingärten und landwirtschaftlich genutzte Brachen inmitten der altrömischen Stadtmauern; das nahe Forum diente als Kuhweide. Überall aus dem Grün ragten die zerfallenden Marmortrümmer der geschrumpften Welthauptstadt – günstiges Baumaterial aus zweiter Hand, sogenannte „Spolien“, die man nur noch abtransportieren musste. Vor allem Säulen waren begehrt und auf der Baustelle von San Clemente wurden viele davon benötigt – Not macht erfinderisch, Armut erzwingt nachhaltiges Wirtschaften; auch nachhaltiges Bauen.

Eintauchen in die Romanik

Zwei von diesen Second-Hand-Stützen stehen schon am Eingang und tragen den baldachinartigen Vorbau. Dahinter öffnet sich ein annähernd quadratischer Innenhof; ein von Wandelgängen umfriedetes Atrium, wie es eigentlich für frühchristliche Kirchen typisch ist, hier aber zusammen mit der Kirche erst im Hochmittelalter erbaut wurde. Beim Eintritt in diese Oase der Ruhe fällt jede irdische Hast von einem ab. Eine Zutat des 18. Jahrhunderts ist der munter plätschernde Schalenbrunnen in der Mitte, der den kultischen Reinigungsbrunnen ablöste. Dem Eingangsportal gegenüber tragen vier ionische Spoliensäulen die in elegantem Barockklassizismus gestaltete Kirchenfassade, mit der Carlo Fontana die mittelalterliche Front nach 1715 tapezierte, oder – um im Bild der Lasagne zu bleiben – überbuk.

Tritt man aus der Vorhalle ins Innere, taucht man ins Zeitalter der Romanik ein, denn die ansonsten so renovierungswütige Barockzeit hielt sich in der dreischiffigen, zwischen 1108 und 1128 errichteten Basilika merklich zurück. Abgesehen von der teils vergoldeten und bemalten Felderdecke beschränkte sich Fontanas Barockisierung auf wenige Schmuckdetails. Vor allem ließ er große Fenster in die Wände brechen, um mehr Licht ins Gotteshaus zu holen; die alten, schmalen Rundbogenfenster sind von außen noch erkennbar. Ansonsten aber dominiert bis heute das goldglänzende Apsismosaik mit seinen Rebstöcken, die den gekreuzigten Christus im Zentrum umranken. Selbst die Schola cantorum blieb erhalten; der den Klerikern und Sängern vorbehaltene Bereich des Mittelschiffs mit seinen beiden Lesepulten.

Wundervolle Cosmaten-Arbeiten

Die marmornen Chorschranken, der Osterleuchter und die Fußböden aller drei Kirchenschiffe sind mit wundervollen Cosmaten-Arbeiten überzogen. Auch die Mitglieder dieser Handwerkerfamilie, von denen viele Cosimo hießen, waren Meister der Nachhaltigkeit. Sie durchsuchten die antiken Ruinen nach bunten Marmorsorten, nach Splittern von rosa Granit sowie feuerrotem und smaragdgrünem Porphyr. Ihre Ausbeute schnitten sie zu Platten und Plättchen, zu teils winzigen Dreiecken und Quadraten, zu kleinen Rhomben, Sechs- und Achtecken, die sie mit schier unendlicher Geduld zu immer neuen geometrischen Mustern legten, in denen man sich verlieren kann, wie in den Ornamenten eines orientalischen Teppichs.

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Im nördlichen Seitenschiff bemerkt man halb im Boden versunkene Bögen, die vor ihrer archäologischen Freilegung hinter Wandverputz verborgen waren. Sie gehören bereits zur nächsten, darunter liegenden Schicht der „Geschichtslasagne“ von San Clemente; zum spätantiken Vorgängerbau aus dem 4. Jahrhundert. Bis zur Höhe der Säulen hat man diesen mit Abraum zugeschüttet, um dem heute zuoberst liegenden Nachfolger als Fundament zu dienen. Derart begraben und vergessen, wurde dieser Schatz erst im 19. Jahrhundert gehoben – der archäologiebegeisterte irische Dominikanerpater Joseph Mullooly soll mit seiner Spitzhacke einfach gegen eine Wand gehauen haben.

Labyrinth von Pfeilern und Stützmauern

In das seither als Unterkirche genutzte, frühchristliche Gotteshaus geht es über eine Treppe im Sakristeibereich, wo man auch die Tickets für die Besichtigung unkompliziert erwerben kann. Dort unten findet sich der Besucher in einem wahren Labyrinth von Pfeilern und Stützmauern wieder, denn die um 384 errichtete Basilika, in der ganze Kirchensynoden abgehalten wurden, war ebenfalls dreischiffig und sogar noch größer als der heutige Bau. Zu Beginn des 6. Jahrhunderts hat man die Innenausstattung aufgemöbelt.

Ein Presbyter namens Mercurius, der später als Johannes II. den Stuhl Petri bestieg, stiftete einen neuen Altar mit Ziborium und Altarschranken. Teile davon kamen extra aus Konstantinopel und waren so kostbar, dass man sie später in die Oberkirche übernahm und dort wiederverwendete. Die gut erhaltenen Wandgemälde zeigen etwa Szenen aus der Vita des heiligen Clemens, seine Inthronisation als Bischof von Rom und die von ihm an seinem Verbannungsort auf der Halbinsel Krim gewirkten Wunder. Wie bei einem frühmittelalterlichen Comic ist auch zu sehen, wie die nach Clemens ausgesandten Häscher statt des Heiligen eine Säule zum römischen Präfekten schleppen, der darauf einen recht vulgären Fluch in allerältestem Italienisch ausstößt, indes der heilige Held natürlich bestes Latein spricht. Die Gebeine des auf der Krim bestatteten Papstes – man ist sich nicht sicher, ob er der zweite oder dritte Nachfolger Petri war – wurden von den heiligen Slawenaposteln Method und Kyrill nach Rom zurückgebracht, wobei Letzterer hier verstarb und im Jahr 869 in San Clemente bestattet wurde. Dort, wo Pater Mullooly sein Grab vermutete – der Ort wurde von der Bulgarisch-Orthodoxen Kirche im 20. Jahrhundert neu gestaltet – führt eine Treppe noch tiefer hinab.

Im Rom der Cäsaren

In der dritten, der untersten Schicht schlägt dem Besucher warme, feucht-modrige Luft entgegen und von ferne ist das Murmeln von Wasser zu vernehmen. Wir sind im Rom der Cäsaren angekommen, einer verwirrenden Folge verwinkelter Kammern, in denen sich teilweise noch die Stuckdecken erhalten haben. Plötzlich steht man vor einem Gitter und blickt in ein Mithräum. Das Gewölbe wurde zwar erst Ende des 2. Jahrhunderts für die Mysterien des persischen Lichtgottes Mithras eingerichtet, der als Stiertöter auf dem zentralen Altar erscheint, doch die umgebenden Mauern sind älter. Sie datieren in die Zeit Neros und wurden auf der Asche errichtet, die der große Stadtbrand von 64 n. Chr. hinterließ, für den der Kaiser die Christen verantwortlich machte und ihre erste Verfolgung anordnete. Die Archäologen konnten das Mauer-Wirrwarr zwei Gebäuden zuordnen.

Von der Münzstätte zur Kirche

Eines davon soll eine Moneta gewesen sein, eine Münzprägeanstalt. Die frisch geprägten Moneten wären in den schon damals fensterlosen Gelassen sicherlich diebstahlsicher zu lagern gewesen; sie öffneten sich nur auf einen Innenhof. Auch gut kühlen hätte man die glühend gegossene und heiß geschlagene Ware können, denn hier unten rauscht noch heute ein Bachlauf vorbei.

Um 250 ereilte die Münzstätte kurioserweise das gleiche Schicksal wie später ihren Nachfolger. Das Erdgeschoß wurde mit Schutt verfüllt und der Innenhof als zentrale Halle überdacht; die Räume des ehedem ersten Stocks lagen nun zu ebener Erde. Die Nutzung bleibt unklar bis ins 4. Jahrhundert, als man dieses Gebäude in die heutige Unterkirche verwandelte; die Seitenräume wurden zu Seitenschiffen verbunden, die Halle in der Mitte – das Hauptschiff – erhielt eine Apsis und fertig war die Lasagne. Jedes Zeitalter hat eine Zutat hinzugegeben; ein bisschen ging beim Kochen auch verloren. Erst unlängst sind die vier alten Fächerpalmen im Atrium eingegangen; sie wurden durch junge ersetzt. Mit etwas Glück werden sie das 21. Jahrhundert überleben.

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