Jörg Meyrer empfing 1988 im Bistum Trier die Priesterweihe. Er ist Pfarrer der katholischen Pfarreiengemeinschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler im nördlichen Rheinland-Pfalz. 2021 wurde der 62-Jährige durch seine Arbeit als Seelsorger während der Flutkatastrophe im Ahrtal bekannt und in Medien wie der „Bild" und der „FAZ" porträtiert. Ein Jahr später veröffentlichte er sein erstes Buch dazu, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte.
Herr Pfarrer Meyrer, wie kann man Betroffenen am besten beistehen?
Wir waren dort, wo die Menschen waren. In den zerstörten Häusern, auf der Straße, beim Wiederaufbau, bei der Essensausgabe. Man muss dann für sie greifbar sein, richtig dabei sein. Dann ergeben sich die Gespräche – wie von selbst. Das kann ich im Moment jedem Seelsorger in den überfluteten Gebieten ans Herz legen – ganz bei den Menschen zu bleiben.
Wie hilft der Glaube?
Mein Glaube hilft mir, bei den Menschen zu sein, und ihnen zu helfen. Wenn ich bei Gott bin, kann ich verarbeiten, was passiert ist. Ich kann es abgeben an Gott, dessen Menschen wir sind. Wir sind seine Kinder. Wir können ihm anvertrauen, wenn es bei den Flutopfern drunter und drüber geht. Aus eigener Kraft könnte ich das wirklich nicht, nur mit Gott.
"Mein Glaube hilft mir, bei den Menschen zu sein, und ihnen zu helfen. Wenn ich bei Gott bin, kann ich verarbeiten, was passiert ist"
In den extremsten Situationen funktioniere ich einfach nur, und bete erstmal nicht. Ich sehe, was getan werden muss, was in dem Moment angemessen ist, und handele. Jeder Mensch ist da natürlich anders und reagiert anders bei einer Katastrophe. Man versucht eben, Antworten zu finden.
Aber bei vielen Menschen, die vor so einer Überflutung keinen Glauben hatten, kommt es vor, dass sie in der Situation keinen Halt im Glauben finden. Wer nicht gläubig ist, hat es schwerer, das an Gott abzugeben. Im Gegenteil gibt es natürlich hin und wieder auch Menschen, die gerade in so einer Situation zum Glauben finden. Generell sind es jedoch eher die Gläubigen, deren Vertrauen auf Gott sich in solchen Zeiten der Not bewährt.
Wie ändert sich die Leben der betroffenen Menschen jetzt?
Radikal. Bei uns im Ahrtal hat sich die Zeitrechnung „vor der Flut“ und „nach der Flut“ etabliert. Es handelt sich also um eine Zeitenwende. Bei uns ist die Katastrophe vor drei Jahren gewesen – und trotzdem noch nicht vorbei. Dieses Ereignis wird nie wieder verschwinden – und das ist voraussichtlich in den derzeitigen Überschwemmungsgebieten ähnlich. Die Opfer werden immer an ein „Davor“ und ein „Danach“ denken. Denn wenn das Selbstverständliche, dass man ein sicheres Dach über dem Kopf für seine Lieben und sich hat, wo man geborgen ist, wenn das alles an einem Tag zerstört wird: Dann ändert das ein Leben massiv. So etwas brennt sich in die Seele ein und beeinflusst die Haltung zum Leben. Ängstliche Menschen werden manchmal ängstlicher, und zuversichtliche bekommen noch mehr Zuversicht – durch die Hilfe, die sie von Helfern erfahren.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.