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SOS der Zauberlehrlinge

Im November 2018 verkündete der chinesische Biophysiker He Jiankui die Geburt zweier Zwillingsmädchen. Deren DNA hatte er zuvor mit der CRISPR/Cas-Technologie teilweise umgeschrieben. In der Fachzeitschrift „Nature“ fordern nun 18 Spitzenforscher ein weltweites fünfjähriges Moratorium für derartige Keimbahneingriffe. Die Verzweiflung der Forscher scheint gewaltig. Nur ist sie längst nicht groß genug. Von Stefan Rehder
Gene
Foto: Stock Adobe | Gene

Ach, da kommt der Meister!/ Herr, die Not ist groß!/ Die ich rief, die Geister/ Werd’ ich nicht mehr los.“ Wie dem Zauberlehrling in Johann Wolfgang von Goethes gleichnamiger Ballade mit Eimer und Besen geht es auch den Biobastlern mit der CRISPR/Cas-Technologie. 18 von ihnen haben nun einen Notruf abgesetzt. Unter der Überschrift „Erlasst ein Moratorium für Genom-Editing“ fordern die Spitzenforscher die Regierungen aller Herren Länder auf, für die Dauer von fünf Jahren auf klinische Keimbahnexperimente zu verzichten, bei denen menschliches Erbgut in „Spermien, Eizellen oder Embryonen“ mit dem Ziel manipuliert wird, genetisch veränderte Kinder zu erschaffen.

In dem vierseitigen Beitrag, der als Kommentar in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift „Nature“ (2019; Vol. 567, S. 165–168) veröffentlicht wurde, stellen die Wissenschaftler klar, dass sie keinesfalls einen „permanenten Bann“ verlangen. Auch solle sich das Moratorium weder auf die genetische Veränderung von somatischen Zellen noch auf die Grundlagenforschung erstrecken. Die Staaten sollten das Moratorium jedoch nutzen, um die „technischen, wissenschaftlichen, medizinischen, sozialen, ethischen und moralischen Probleme“ zu diskutieren und „ein internationales Regelwerk zu schaffen“.

Mit der inzwischen am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin arbeitenden Französin Emmanuelle Charpentier und dem in den USA am Broad Institute in Cambridge wirkenden Chinesen Feng Zhang gehören auch zwei Pioniere der CRISPR/Cas-Technologie zu den Verfassern des Aufrufs. Beide liefern sich seit Jahren wegen ihrer jeweiligen Beiträge zu der Entdeckung und Fortentwicklung der Technologie einen leidenschaftlichen Patent-Rechtsstreit, der rund um den Globus ausgetragen wird. Auch das zeigt, wie groß die Not der Zauberlehrlinge längst ist.

Mit der CRISPR/Cas-Technologie, die gern auch als „Genom-Chirurgie“ oder „Genom-Editing“ bezeichnet wird, lässt sich der genetische Code von Lebewesen – einschließlich der des Menschen – auf molekularer Ebene bearbeiten und gezielt verändern. Und zwar prinzipiell wie in einem Textprogramm: Buchstabe für Buchstabe. Dabei können die Forscher die unter dem Akronym CRISPR firmierenden Genscheren so programmieren, dass sie nahezu jeden Ort der DNA-Sequenz eines Genoms ansteuern und dort einen Schnitt setzen können. Schadhaft mutierte oder auch nur unliebsame Gene können mittels der Technologie herausgeschnitten und durch gesunde oder auch nur für besser befundene ersetzt werden. Und genau das hatte der chinesische Biophysiker He Jiankui getan. Eigenen Angaben zufolge entfernte der beurlaubte Universitätsprofessor aus dem Genom der beiden Mädchen das Gen CR5, um sie HIV-resistent zu machen.

Mit ihrem Aufruf bestätigen die Spitzenforscher indirekt auch prinzipielle Kritiker der Technologie: Obwohl die Technologie in den zurückliegenden Jahren verbessert worden sei, sei das Editieren der Keimbahn bisher „nicht sicher oder effektiv genug, um einen klinischen Einsatz zu rechtfertigen“. In der „scientific community“, der „Gemeinschaft der Wissenschaftler“ bestehe „weitgehend Einigkeit“ darüber, „dass das Risiko, eine beabsichtigte Veränderung zu verfehlen oder nicht beabsichtigte Mutationen (off-target effects) herbeizuführen, immer noch unannehmbar hoch“ sei.

Mehr noch: Der Ersatz genetischer Varianten durch alternative sei mit erheblichen Herausforderungen verbunden, „da Varianten, die das Risiko einiger Krankheiten verringern, das Risiko für andere erhöhen“. So verringere etwa eine häufig auftretende Variante des Gens SLC39 A8 zwar das Risiko, an Bluthochdruck und Parkinson zu erkranken, erhöhe dafür jedoch das Risiko, an Schizophrenie, Morbus Crohn und Fettleibigkeit zu erkranken. Den Versuch, die menschliche Spezies „auf der Grundlage unseres aktuellen Wissensstands neu zu gestalten“, qualifizieren die Autoren im Folgenden denn auch ungeschminkt als „Hybris“.

Damit nicht genug: Die Forscher warnen auch vor den gesellschaftlichen Auswirkungen des Genom-Editings. So könnten sich Menschen mit genetischen Abweichungen und Behinderungen stigmatisiert und diskriminiert fühlen. Eltern könnten sich starkem Druck ausgesetzt sehen, ihre Kinder „zu verbessern“. Auch könnte ein „ungleicher Zugang zu der Technologie die Ungleichheit vergrößern. Die genetische Verbesserung könne sogar Menschen in Unterarten aufspalten“, schreiben die Autoren in ihrem Aufruf.

Was die Spitzenwissenschaftler allerdings nicht daran hindert, ausdrücklich darauf zu verweisen, dass Paare, die wüssten, dass sie Gefahr laufen, schwere genetisch verursachte Krankheiten zu vererben, bereits „sichere“ Möglichkeiten besäßen, dies zu verhindern. Insbesondere die Künstliche Befruchtung in Verbindung mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) garantiere Paaren, dass sie „keine Kinder mit einer genetischen Erkrankung“ bekämen.

Auch wenn Christen angesichts einer derart expliziten Empfehlung, Eugenik zu praktizieren, sicher nicht zum Lachen zumute ist, so ist doch nicht frei von Ironie, dass nun ausgerechnet Vertreter der „scientific community“, welche die Politik in den biopolitischen Schlachten der Vergangenheit stets zur Liberalisierung bestehender Gesetze drängte und geradezu reflexhaft auf die „Freiheit der Forschung“ verwiesen, sobald Parlamente doch einmal Versuche der Regulierung unternahmen, nun laut nach den Staaten und ihren Regierungen rufen.

Ihr Vorschlag für ein fünfjähriges Moratorium sei sicherlich geeignet „um vor den abenteuerlichsten Plänen, die menschliche Spezies umzuformen, mächtige Bremsschwellen zu errichten“, behaupten die Autoren am Ende ihres Aufrufs. Eine Einschätzung, die doch recht selbstverliebt klingt und zumindest nicht von jedem geteilt wird. „Ein Moratorium sollte nicht nur eine Vereinbarung sein, auf die klinische Anwendung einer genetischen Keimbahnveränderung erst einmal zu verzichten, sondern auch Konsequenzen für den Fall vorsehen, dass sich einzelne Wissenschaftler über eine solche Vereinbarung hinwegsetzen. Das beinhaltet der aktuelle Vorschlag nicht“, kritisierte denn auch die Vorsitzende des Europäischen Ethikrates, Christiane Woopen.

Aus Sicht der Medizinerin und Philosophin reicht es zudem „nicht aus, eine ausreichende Wirksamkeit und Sicherheit des Verfahrens nachzuweisen, um es als ethisch vertretbar auszuweisen“. Es gehe auch um „viel grundlegendere Fragen, die unser Menschenbild und das Verhältnis der Generationen untereinander betreffen“.

In den Debatten darüber sollte es nach Ansicht der Direktorin des „Cologne Center für Ethics, Rights, Economics and Social Sciences of Health“ denn auch „nicht vorrangig darum gehen, einen Konsens herzustellen“. Im Fokus müsse vielmehr stehen, „ein Verständnis der vielen unterschiedlichen Überzeugungen zu befördern, um dann gemeinsam eine Lösung zu finden“, die die „gesellschaftlich zuträglichste“ sei. Schließlich gehe es „um nicht weniger als um eine Menschheitsfrage“.

Eine, die man vielleicht auch so formulieren könnte: Falls Kinder nicht bloß würdelose Produkte ihrer Eltern sind und einzig und allein deren Wohlbefinden zu dienen haben, wieso sollen Eltern dann eigentlich das Recht besitzen, die genetische Ausstattung ihrer Kinder ganz oder auch nur in Teilen festzulegen? Und wer könnte sie dazu ermächtigen?

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