700 Mitarbeiter beim Hamburger Verlagshaus Gruner+Jahr, 300 Mitarbeiter beim Kölner Privatsender RTL – die Bertelsmann-Führung setzt bei den erst kürzlich fusionierten Medienunternehmen unbarmherzig den Rotstift an.
Und vor allem hinsichtlich der Freistellung zahlreicher Mitarbeiter und der Abwicklung von immerhin 23 Zeitschriftentiteln bei Gruner+Jahr - immerhin bisheriges Verlagshaus bekannter Zeitschriften wie „Stern“, „Geo“, „Capital“ und „Brigitte“ - verspüren nicht wenige Kommentatoren aus Politik und Medien ein wichtiges Stück deutsche Mediennachkriegsgeschichte endgültig zu Ende gehen.
Scharfe Kritik aus Politik und Medien
Als „gewissenlose Profitmaximierung" bezeichnete der Vorsitzende des Deutschen Journalisten Verbandes, Frank Überall, die Bertelsmann-Pläne. Gruner+Jahr werde abgewickelt, und auch die verbleibenden Titel seien nicht sicher. Zudem kam gerade aus der Hamburger Politik viel Kritik: „RTL und Bertelsmann opfern Gruner+Jahr der Profitgier, ohne sich um die Menschen zu kümmern, die in den vergangenen Jahren für exzellenten, informativen und unterhaltsamen Journalismus standen", sagte zum Beispiel der SPD-Medienpolitiker Hansjörg Schmidt. Und der CDU-Politiker Dennis Thering ergänzt: „Die Zusammenführung von RTL und Gruner+Jahr ist faktisch gescheitert und hat jetzt fatale Folgen, insbesondere für die Mitarbeiter.“ Erhoffte Synergien hätten sich nicht ergeben und liefen nun "auf eine Zerschlagung des Hamburger Traditionsverlags hinaus".
In der Tat: Schon bei der Ankündigung der Fusion von RTL und Gruner+Jahr im August 2021 gab es Bedenken bei Mitarbeitern, Führungskräften und Medienbeobachtern, dass da unternehmerisch etwas zusammenwachsen sollte, was nicht zusammengehört. Der langjährige „Geo“-Chefredakteur Peer-Matthias Gaede brachte es im Interview mit der „Wirtschaftswoche“ auf den Punkt: „‘Bauer sucht Frau‘ geht halt nicht mit ‚Art‘ zusammen.“
Bertelsmann musste die Notbremse ziehen
Jedoch: Unabhängig der Frage, ob die Fusion zwischen RTL und Gruner+Jahr sinnvoll gewesen ist oder nicht, steht außer Zweifel, dass Bertelsmann bezüglich des Hamburger Traditionsverlags die Notbremse ziehen musste. Denn 2022 habe das Ergebnis des Verlagsgeschäfts nach allen Abzügen bei lediglich nur noch einer Million Euro gelegen. Für 2023 erwartet Bertelsmann gar ein Minus von mehr als 20 Millionen Euro.
Hinzu kommt, dass neben einem zu großen Zeitschriftenportfolio es bei Gruner + Jahr vor allem in den Bereichen Internet und Digitalprodukten anscheinend hapert: So verzeichnen „Stern Plus“ und „Crime Plus“ nur rund 30.000 Abos, weniger als sämtliche direkten Konkurrenten - die Abonnementerlöse liegen bei nur einer Million Euro im Jahr. „Wir glauben, dass wir mit unseren Paid-Content-Angeboten recht spät dran sind“, gab Bertelsmann-Chef Thomas Rabe, der die umstrittene Fusion von RTL und Gruner+Jahr zu verantworten hat, unumwunden zu.
Zudem gelten in puncto politischer Berichterstattung manche Produkte von Gruner+Jahr, wie beispielsweise das von Henri Nannen gegründete Magazin „Stern“, als einseitig: So sorgte das Magazin im September 2020 für Aufsehen, als es eine ganze Ausgabe inhaltlich von Vertretern der Klimaprotestbewegung „Fridays for Future“ erstellen lies – und in den Augen einiger Beobachter damit den Boden politisch-neutraler Berichterstattung verließ.
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