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Kommentar: Getötet durch Unterlassen

Der französische Wachkoma-Patient Vincent Lambert ist tot. Aber er starb keines natürlichen Todes. Er wurde getötet - von seinen Ärzten.
Ein Patient in einer Klinik
Foto: Sven Hoppe (dpa) | Der Franzose Vincent Lambert ist gestorben, weil ihm die Pflege verweigert wurde, die man ihm schuldete, kommentiert Stefan Rehder.

Vincent Lambert ist tot. Und das ist ein Skandal. Nicht, weil der Tod an sich ein Skandal wäre. Zugegeben, das ist er als Folge der Erbsünde auch. So glauben es zumindest Katholiken. Vincent Lambert’s Tod ist vor allem ein Skandal, weil er gezielt und absichtlich herbeigeführt wurde. Noch dazu von jenen, die sein Leben hätten schützen müssen.

Denn der 42-jährige Wachkoma-Patient, der am Donnerstagmorgen im Universitätsklinikum Reims verstarb, ist dort nicht etwa seinem Grundleiden erlegen, einer schweren Hirnverletzung, die er sich bei einem Motorrad-Unfall im Jahr 2008 zugezogen hatte. Vincent Lambert ist verhungert und verdurstet. Und das nur, weil ihm die ihn behandelnden Ärzte verweigerten, was sie ihm schuldeten. Nämlich jenes Maß an „gewöhnlicher und verhältnismäßiger Pflege“ (s.u.), zu der eben grundsätzlich auch die künstliche Versorgung mit Nahrung und Wasser gehört.

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Wer behauptet, Lamberts Ärzte hätten eine Therapie eingestellt, weil diese nach menschlichem Ermessen keine Aussicht auf Erfolg mehr gehabt hätte, irrt entweder oder verbreitet wissentlich die Unwahrheit. Eine medizinische Therapie zielt auf die Heilung oder Linderung eines Grundleidens. Sie darf deshalb nicht nur eingestellt werden, wenn sie keinen Nutzen mehr verspricht. Sie muss es sogar, da sie andernfalls eine Körperverletzung darstellt. Daher ist es zum Beispiel moralisch erlaubt und mitunter sogar geboten, bei hirntoten Patienten die künstliche Beatmung einzustellen. Wo dies geschieht, desintegriert der Organismus des Betreffenden und der Hirntote erliegt tatsächlich seinem Grundleiden.

Vincent Lambert musste nicht künstlich beatmet werden. Die Desintegration seines Organismus wurde nicht – wie dies bei künstlicher Beatmung geschieht – zunächst aufgehalten und – als diese Therapie keinerlei Erfolg zeigte – wieder aufgeben. Die Desintegration des Organismus von Vincent Lambert – sein Tod – wurde gezielt herbeigeführt. Durch den Entzug von Nahrung und Flüssigkeit.

Vincent Lambert ist tot. Aber erlag nicht seinem Grundleiden. Er wurde getötet durch Unterlassen. Von seinen Ärzten, die letztlich entschieden, dass das Leben des 42-jährigen Wachkoma-Patienten ihre Ressourcen und Anstrengungen, die Pflege zweifellos bedeutet, nicht mehr wert sei. Und das ist ein Skandal. Nicht nur für Katholiken.

 


Im Jahr 2007 hat sich die vatikanische Kongregation für die Glaubenslehre eingehend mit der Frage beschäftigt, was Ärzte, Angehörige und Gesellschaft Wachkoma-Patienten wie Vincent Lambert, schulden. Wir dokumentieren nachfolgend, die kurze Note der Glaubenskongregation, deren Veröffentlichung durch Papst Benedikt XVI. angeordnet wurde:

 

KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE

Antworten auf Fragen der Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten
bezüglich der künstlichen Ernährung und Wasserversorgung

1. Frage: Ist die Ernährung und Wasserversorgung (ob auf natürlichen oder künstlichen Wegen) eines Patienten im „vegetativen Zustand“ moralisch verpflichtend, außer wenn Nahrung und Wasser vom Körper des Patienten nicht mehr aufgenommen oder ihm nicht verabreicht werden können, ohne erhebliches physisches Unbehagen zu verursachen?

Antwort: Ja. Die Verabreichung von Nahrung und Wasser, auch auf künstlichen Wegen, ist prinzipiell ein gewöhnliches und verhältnismäßiges Mittel der Lebenserhaltung. Sie ist darum verpflichtend in dem Maß, in dem und solange sie nachweislich ihre eigene Zielsetzung erreicht, die in der Wasser- und Nahrungsversorgung des Patienten besteht. Auf diese Weise werden Leiden und Tod durch Verhungern und Verdursten verhindert.

2. Frage: Falls ein Patient im „anhaltenden vegetativen Zustand“ auf künstlichen Wegen mit Nahrung und Wasser versorgt wird, kann deren Verabreichung abgebrochen werden, wenn kompetente Ärzte mit moralischer Gewissheit erklären, dass der Patient das Bewusstsein nie mehr wiedererlangen wird?

Antwort: Nein. Ein Patient im „anhaltenden vegetativen Zustand“ ist eine Person mit einer grundlegenden menschlichen Würde, der man deshalb die gewöhnliche und verhältnismäßige Pflege schuldet, welche prinzipiell die Verabreichung von Wasser und Nahrung, auch auf künstlichen Wegen, einschließt.

Papst Benedikt XVI. hat in der dem unterzeichneten Kardinalpräfekten gewährten Audienz die vorliegenden Antworten, die in der Ordentlichen Versammlung dieser Kongregation beschlossen worden sind, gutgeheißen und deren Veröffentlichung angeordnet.

Rom, am Sitz der Kongregation für die Glaubenslehre, am 1. August 2007.

William Kardinal Levada
Präfekt

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Stefan Rehder Benedikt XVI. Wachkomapatienten

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