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Hölderlinturm: Das Versmaß auf den Tisch geklopft

Der wiedereröffnete Hölderlinturm in Tübingen lädt zu einer neuen Sicht auf den Dichter ein.
Friedrich Hölderlin
Foto: Adobe Stock | 36 Jahre lebte der Dichter Friedrich Hölderlin im Tübinger Turm. Aus dieser krankheitsgeprägten sogenannten Zeit des Wahnsinns sind noch 48 Gedichte erhalten.

Als der italienische Komponist Luigi Nono einmal gefragt wurde, was er gerne sein würde, antwortete er: „Der Hölderlinturm und Hölderlin zuhören.“ Immerhin können jetzt Besucher des Hölderlinturms in Tübingen Gedichten des Dichters elektronisch lauschen – seit dem Wochenende ist der Turm samt Museum neu eröffnet worden. Hölderlin, der am 20. März 250 Jahre alt geworden wäre, wurde mit der Diagnose „unheilbar krank“ 1807 in den Turm vom Schreiner Ernst Friedrich Zimmer aufgenommen und blieb 36 Jahre bis zu seinem Tod 1843. Dieser zweiten Hälfte seines Lebens, das 1770 in Lauffen am Neckar begann, widmet sich die Dauerausstellung.

Die ursprünglich zu Hölderlins Zeit nicht zusammenhängenden Teile des Grundstückes sind nun zum Jubiläum endgültig zusammengelegt und der einst zum Gemüseanbau und Wäschetrocknen genutzte Garten ist nun denkmalgerecht genutzt. Von seinen Turmfenstern aus konnte Hölderlin das „ganze Näkarthal“, wie es damals hieß, überblicken. Aus der damaligen Zeit ist von den Gegenständen Hölderlins nur der Tisch übriggeblieben, auf dem er mit der linken Hand das Versmaß klopfte. Manchmal hat er auch „auf den Tisch geschlagen, wenn er Streit hatte – mit seinen Gedanken“, ist überliefert. Über seine Aussicht aus den Turmfenstern dichtete er: „Aussicht/ Der offne Tag ist Menschen hell mit Bildern,/Wenn sich das Grün aus ebner Ferne zeiget,/ Noch eh des Abends Licht zur Dämmerung sich neiget,/ Und Schimmer sanft den Klang des Tages mildern./ Oft scheint die Innerheit der Welt umwölkt, verschlossen,/ Des Menschen Sinn von Zweifeln voll, verdrossen,/ Die prächtige Natur erheitert seine Tage/ Und ferne steht des Zweifels dunkle Frage.“ Das Gedicht, in den Jahren des Lebens im Turm geschrieben, ist unterzeichnet mit „Mit Unterthänigkeit/ Scardanelli/ Den 24. März 1671“. Hölderlin datierte in seiner Spätzeit häufig Gedichte ein oder zwei Jahrhunderte zurück mit willkürlichem Datum. Auch benutzte er mehrere Pseudonyme, wie hier Scardanelli, Scarivari, Scaliga Rosa, Killalusimeno oder auch Buarotti.

Als der Publizist und Literaturhistoriker Christoph Theodor Schwab Hölderlin besuchte und ihn bat, ihn zu seinem Zimmer zu führen, bat Hölderlin: „Spazieren eure königliche Majestät nur zu.“ Als Hölderlin seinen Besucher dann musterte, meinte er,: „Es ist ein General... Er ist so schön angezogen.“

„Umsonst, wenn auch der Geister Erste fallen,/ Die starken Tugenden, wie Wachs, vergehn,/
Das Schöne muss aus diesen Kämpfen allen,/ Aus dieser Nacht der Tage Tag entstehen“
Friedrich Hölderlin

Das renovierte Gebäude mit seinen strahlend weißen Wänden und mit steilen Treppen wirkt verwinkelt. Anders als Goethe und Schiller, die ihn wenig beachtet haben, dichtete Hölderlin normalerweise im Gehen. Rechnungen des Schreiners Zimmer an Hölderlins Mutter belegen immer wieder Kosten für Schuhsohlen. Auch solche Dokumente gehören zur Ausstellung. Überall sind aber auch Orginalmanuskripte zu bestaunen, die sich auch an Hörstationen nachhören lassen. Ein Hölderlin-Sprachlabor lädt zu Experimenten ein. Auch Dokumente der Behandlung seiner Krankheit sind ausgestellt. 1807 wurde ihm bescheinigt, nur noch drei Jahre leben zu können, dann wurden es 36. Immerhin 48 Gedichte sind aus der sogenannten Zeit des Wahnsinns erhalten, aber wer sie liest, dem öffnen sich neue Welten und die Frage nach der Krankheit stellt sich neu. Auch wenn diese Gedichte einfacher zu sein scheinen als die großen Hymnen zuvor.

Mit dem Sprachlabor will man sich an Hölderlins eigene Suche nach der Sprache anlehnen, seinen sprachlichen Inversionen nachspüren, wie in „An die klugen Ratgeber“: „Umsonst, wenn auch der Geister Erste fallen,/ Die starken Tugenden, wie Wachs, vergehn,/ Das Schöne muss aus diesen Kämpfen allen,/ Aus dieser Nacht der Tage Tag entstehen; ...“ Bei der prominent besetzten Feier zur Eröffnung des Hölderlinturms mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, und dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann wurde immer wieder das tastende Suchen Hölderlins nach Sprache zum Thema, auch das Scheitern Hölderlins. Das zeigt sich an verschiedenen Gedichtfassungen, am Fragment „Hyperion“ oder an drei Anläufen zum „Empedokles“-Drama. Thema war in den Festreden auch die politische Einordnung Hölderlins. Sein Werk entziehe sich „deutschtümelnder Vereinnahmung“, erklärte Monika Grütters, und Thomas Schmidt vom Literaturarchiv Marbach fragte, ob der Blick aus dem Turm oder in die Gedichte authentischer sei und wies auf die abnehmende Integrationskraft der Turmräume hin. Seinen eigentlichen Durchbruch erreichte Hölderlin im frühen 20. Jahrhundert in der Entdeckung seiner späten Hymnen durch Norbert von Hellingrath ab 1910. Doch dieses Spätwerk ging den Turmgedichten noch voraus, die kaum ein Thema der Forschung waren. Bereits Hellingrath lehnte es ab, auf Hölderlin „grobe psychopathologische Kategorien“ anzuwenden. Die Bedeutung der letzten Gedichte wird allmählich neu eingeschätzt.

Hölderlinturm in Tübingen, Bursagasse 6 , 72070 Tübingen

Öffnungszeiten:
Di.–Fr., 10.00 bis 12.00 Uhr und 15.00 bis 17.00 Uhr, Sa.–So., 14.00 bis 17.00 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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