Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Deutscher Gewinnerfilm

Stolz wie Oscar?

Warum der deutsche Oscargewinner „Im Westen nichts Neues“ hierzulande nicht die Herzen erwärmt - und man sich dennoch einmal freuen darf. Ein Kommentar.
Regisseur Edward Berger
Foto: IMAGO/JOHN ANGELILLO (www.imago-images.de) | Ganze vier Goldjungen konnte Edward Bergers Verfilmung des 1928 erschienenen Romanklassikers von Erich Maria Remarque insgesamt abräumen.

Schon im Vorfeld der diesjährigen Oscarverleihung bahnte sich an, dass es der aus Deutschland stammende Netflix-Film „Im Westen nichts Neues“ bei den Academy Awards weit bringen könnte. Nun herrscht seit der Nacht von Sonntag auf Montag Gewissheit: Ganze vier Goldjungen konnte die Verfilmung des 1928 erschienenen Romanklassikers von Erich Maria Remarque insgesamt abräumen – nämlich diejenigen für beste Filmmusik, beste Kamera, bestes Szenenbild und nicht zuletzt für den besten internationalen Film. 

Lesen Sie auch:

Da mutet es schon beinahe wie eine Enttäuschung an, dass „Im Westen nichts Neues“ nicht auch noch die Trophäe für den regulären besten Film einheimsen konnte – doch weder den bisherigen deutschen Oscar-Gewinnern für den besten fremdsprachigen Film, „Die Blechtrommel“ (1979), „Nirgendwo in Afrika“ (2002) und „Das Leben der Anderen“ (2007) noch den seinerzeit bei den Oscars leer ausgegangenen Filmklassikern „Die Brücke“ (1959) oder „Das Boot“ (1982) wurde diese Ehre zuteil. 

Besser als „Das Boot“?

So oder so wurden genannte Filme nun oscartechnisch von der Netflix-Produktion, die übrigens ohne einen einzigen Cent deutscher Filmförderung entstanden ist, hinter sich gelassen – doch es ist relativ müßig darüber zu streiten, ob einige der oben genannten deutschen Filme es nicht möglicherweise eher verdient gehabt hätten, von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences seinerzeit etwas großzügiger ausgezeichnet zu werden als in diesem Jahr der Antikriegsfilm des Schweizer Regisseurs Edward Berger.

Denn Fehlentscheidungen vonseiten der Academy gehören beinahe schon seit den Anfängen der Oscarverleihung buchstäblich zu deren DNA  – und die Academy darf sich in ihrer Wahl der vermeintlich besten Filme eines Jahres nur den jeweiligen Filmjahrgang zum Maßstab der Preiswürdigkeit nehmen, egal ob hierdurch möglicherweise zu Unrecht bei früheren Oscarverleihungen übersehene Filmjuwelen für so manchen Filmfreund erneut in den Senkel gestellt werden.

Technik hui, Handlung pfui

So oder so hat nicht nur die deutsche Filmkritik, sondern auch ein Großteil der deutschen Öffentlichkeit ihre Schwierigkeiten mit „Im Westen nichts Neues“: Zwar wurde das professionelle Können vor und hinter der Kamera durchaus gesehen und gewürdigt – doch zahlreiche für den Film getätigte inhaltliche Eingriffe in ein eigentlich perfektes Buch, welches mit über 28 Millionen verkauften Exemplaren zu den weltweit erfolgreichsten Best- und Longsellern deutscher Sprache gehört, ließen viele Buchkenner Abstand von der Verfilmung nehmen.

Hinzu kommt möglicherweise eine gewisse Müdigkeit gegenüber Filmstoffen made in Germany, die beinahe alljährlich pünktlich zur „Award Season“ auf den Markt geworfen werden, in denen es vornehmlich um die dunklen Seiten deutscher Geschichte (3. Reich, DDR, die beiden Weltkriege) geht:  Denn da erwartet wird – siehe den „Rammstein“-Effekt – dass es vor allem die teutonisch-düstere Schlagseite der deutschen Geschichte ist, die im Ausland auf Resonanz stößt, wenden sich deutsche Filmschaffende mit Blick auf ein internationales Publikum meist eher Inhalten zu, welche die deutsche Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts thematisieren . Auch dass "Im Westen nichts Neues" nach 1929 (damals schon oscargekrönt) sowie 1979 (ausgezeichnet mit dem Golden Globe) nunmehr bereits zum dritten Mal verfilmt worden ist, lässt manche Filmbegeisterte an mangelnde Krativität denken - selbst wenn es sich bei Edward Bergers Netflix-Film tatsächlich um die erste deutsche Verfilmung von Remarques Buch handelt.

Trotzdem ein Grund zum Feiern

Kurzum: „Stolz wie Oscar!“ – wie „Bild“ nach dem Oscar-Preisregen, der sich über „Im Westen nichts Neues“ bei den Oscars ergoss, titelte – ist Filmdeutschland wohl eher nicht mit Blick auf die vergangenen Oscars. 

Dennoch darf man, selbst wenn dies vielen Deutschen schwerfällt, auch einmal alle Fünfe gerade sein lassen und sich als Deutscher darüber freuen, mit dem äußerst selten an die deutsche Filmindustrie vergebenen Oscar für den besten internationalen Film nach immerhin 15 Jahren wieder einmal bedacht zu werden - unabhängig davon, ob man nun „Im Westen nichts Neues“, „Die Brücke“, „Das Boot“ oder beispielsweise auch „Stalingrad“ (1993) für den besten deutschen Kriegsfilm hält.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Stefan Ahrens Erich Maria Remarque

Weitere Artikel

Trotz komödiantischer Anmutung stellt Charly Hübners Regiedebüt „Sophia, der Tod und Ich“ tiefgründige Überlegungen an.
04.09.2023, 19 Uhr
José García
Warlam Schalamow überlebte die ostsibirischen Vernichtungslager der Kolyma und erkannte in Raffaels „Sixtinischer Madonna“ sein eigenes Leid.
20.09.2023, 07 Uhr
Uwe Wolff

Kirche

Die deutschen Bischöfe werden beim Synodalen Ausschuss wohl keine kirchenrechtskonforme Lösung finden. Das Mehrheitsprinzip eröffnet einen rechtsfreien Raum.
25.04.2024, 11 Uhr
Regina Einig