Seit seinem Erste Weltkriegs-Drama „Im Westen nichts Neues“ (2022) und dem Kirchen-Thriller „Konklave“ (2024) gehört Edward Berger als Oscar-prämierter Regisseur und Drehbuchautor zu den ganz großen Playern in Hollywood. Er galt kurzzeitig sogar als heißer Kandidat für den Regie-Posten beim nächsten James Bond Film. Doch daraus ist bekanntlich nichts geworden. Nun hat er mit einer neuen Netflix-Produktion, dem exzessiven Mystery-Thriller „Ballad of a small Player“ nachgelegt. Nach einer kurzen Kinoauswertung im Oktober kann man sich Bergers bunten Bilderrausch mittlerweile auch bei Netflix anschauen. Doch kann er mit seinem neuesten Werk an die großen Erfolge seiner beiden Vorgängerfilme anschließen?
Von der Faszination des Verlierens
„Ballad of a small Player“, der auf dem gleichnamigen Roman von Lawrence Osborne basiert, entführt den Zuschauer in die glitzernde und zugleich unheilvolle chinesische Glückspielmetropole Macau, wo Lord Freddy Doyle (Colin Farrell) unter falschem Namen und mit aristokratischem Habitus das Bild eines eleganten Kartenspielers abgibt. Doch hinter der schönen Fassade des Profispielers steckt ein verzweifelter Mensch, dessen Leben sich an einem Abgrund befindet. Alkohol, Schulden, Einsamkeit und gescheiterte Illusionen bestimmen seit langer Zeit sein Leben. Nacht für Nacht versucht er Geld aufzutreiben, um weiter Baccara spielen zu können, endlich den großen Coup zu landen und den Jackpot zu knacken. Doch dem Reiz des schnellen Geldes folgt immer wieder die Hoffnungslosigkeit, welche Doyle immer tiefer in einen Strudel fataler Ereignisse und Entscheidungen zieht.
Der grell, laut und rauschhaft inszenierte Film erzählt von der Faszination des Verlierens. Zwischen exzessiver Selbstzerstörung, zahlreichen Pechsträhnen, Schuldgefühlen und der Hoffnung auf eine gute Fügung taumelt Doyle durch eine Welt des schönen Scheins, in der das Glück stets nur eine flüchtige Illusion ist. In diesem siebten Kreis der Spielhölle scheint es endlich eine Hoffnung auf Erlösung zu geben, als ihm die mysteriöse Casino-Angestellte Dao Ming (Fala Chen) eines Tages einen Ausweg aus der Spielsucht aufzeigt. Wäre da nicht die unerbittliche Privatdetektivin Cynthia Blithe (Tilda Swinton), die sich an seine Fersen heftet, da sie ihn durchschaut hat und seine wahre Identität kennt. Berger ist eine atmosphärisch dichte Charakterstudie gelungen, die fieberhaft zwischen Realismus und Traum hin und her springt und am Ende sogar mystisch wird.
Ein Film mit Charakter aber ohne Seele
Der Film beginnt zwar anfangs sperrig und verlangt vom Zuschauer zunächst viel Aufmerksamkeit, aber ab der zweiten Hälfte kommt schließlich Spannung auf, wenn es um die Frage geht, ob es für Doyle doch noch eine Rettung geben kann oder ob seine Seele für immer verloren bleibt. Bergers Haus- und Hofkomponist Volker Bertelsmann verstärkt dabei erneut durch seine einprägsame Musik die Sogwirkung, welche Doyle immer tiefer in die Abwärtsspirale von Abhängigkeit und Wahnsinn zieht. Berger hat die Neonkulisse von Macau in imposanten und edlen Bildern eingefangen, die aber letztlich inhaltsleer bleiben, weil die wirre Handlung sie nicht tragen kann. Somit ist sein Film zwar schön anzusehen, aber inhaltlich bleibt er so leer und seelenlos wie seine Hauptfigur. Und eben diese Seele fehlt auch seiner Ballade von einem kleinen Spieler. Während in Bergers Kriegsdrama die Maschinerie des Todes und in seinem Vatikanthriller die Kirche als mächtige Institution im Mittelpunkt standen, ist es hier das Casino als sakraler Raum, in dem die Erlösung in Jetons gemessen wird.
Bestach „Konklave“ noch durch stilistische Strenge und Struktur, so zelebriert Berger in „Ballad of a small Player“ den Exzess und die Dekadenz durch zahlreiche opulente Kamerafahrten, Ausstattung und metaphorische Bilder. Man hat den Eindruck, dass der Film vieles zugleich sein möchte: ein philosophischer Thriller, eine tragische Liebesgeschichte, eine Gaunersatire und eine Meditation über Gier, Schuld und Erlösung. Dadurch wirkt der Film stellenweise unausgegoren und inhaltlich überfrachtet. Letztlich lebt er vor allem vom intensiven Spiel Colin Farrells, der sich auf der Suche nach Erlösung aus seinem selbstgebauten Gefängnis im Spielerparadies Macau mit jedem verlorenen Spiel immer mehr selbst verliert. Der irische Schauspieler („The Batman“, “The Penguin“), der selbst so manche Erfahrungen mit Süchten hat, spielt den abgehalfterten Spieler am Rande des Wahnsinns derart eindringlich und ergreifend, dass ihm eine Oscarnominierung nächstes Jahr für seine grandiose Performance sicher sein sollte. Edward Berger hingegen dürfte diesmal wohl eher leer ausgehen.
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