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Victor Frankensteins gefälliges Geschöpf

Im erstklassig besetzten Film tritt auch Christoph Waltz in einer Nebenrolle auf.
Hollywood-Star Christoph Waltz, der auch im neuen „Dracula”- Film auftritt, spielt in „Frankenstein” einen deutschen Waffenhändler.
Foto: IMAGO/Fred Duval (www.imago-images.de) | Hollywood-Star Christoph Waltz, der auch im neuen „Dracula”- Film auftritt, spielt in „Frankenstein” einen deutschen Waffenhändler.

Braucht es schon wieder einen neuen Frankenstein-Film? Mehr als ein Dutzend Mal wurde der Kultroman „Frankenstein“ seit der ersten Adaption im Jahr 1910 verfilmt und besonders durch die Version aus dem Jahr 1931 mit Boris Karloff zu einer der großen ikonischen Monster-Figuren des Kinos stilisiert. Zudem wird es mit „The Bride!“ im März 2026 bereits den nächsten Frankenstein-Film geben. Doch es könnte sich trotzdem lohnen, die altbekannte Geschichte wieder zu erzählen.

Regisseur del Toro zeigt schon in den ersten Minuten seines neuen Werks, dass dieses bereits seit drei Jahrzehnten, wie sein „Pinocchio“ (2022) zuvor, ein Herzensprojekt gewesen ist. Schon damals hat er mit seiner gefeierten Oscar-Adaption der allseits bekannten Pinocchio-Geschichte gezeigt, dass er es wie kaum ein anderer versteht, alte Geschichten in ein neues Gewand zu kleiden. Seine neue Version von Frankenstein erinnert vor allem daran, dass der Romantitel „Frankenstein“, mit dem viele fälschlicherweise zuerst ein Monster assoziieren, sich in Wahrheit auf die menschliche Hauptfigur bezieht, auf Doktor Victor Frankenstein, der bei del Toro eine innerlich zerrissene und traumatisierte Figur ist, welche den Tod nicht akzeptieren kann und alles daransetzt, diesen mit Hilfe der Wissenschaft zu besiegen.

Bereit, über Leichen zu gehen

Um sein Ziel zu erreichen, ist er im wahrsten Sinne des Wortes bereit, selbst über Leichen zu gehen. Ihm ist jedes Mittel recht und so experimentiert er auf obszöne Weise an Leichnamen und versucht, diese durch Elektrizität wieder ins Leben zurückzubringen. Nachdem ihm schließlich der deutsche Waffenfabrikant Heinrich Harlander (Christoph Waltz), dessen Figur im Roman nicht vorkommt, mit einem großen Geldsegen zu Hilfe kommt, scheint nichts mehr seine wissenschaftlichen Forschungen aufhalten zu können.

Interessant ist, dass der zweifache Oscar-Preisträger Christoph Waltz neben seiner Rolle als geschlechtskranker Waffenhändler in „Frankenstein“ zeitgleich auch in Bessons „Dracula“-Adaption als katholischer Priester zu sehen ist. Als der Pakt mit dem Teufel plötzlich vom Erfolg gekrönt wird, ist Frankenstein schockiert angesichts der aus den Leichenteilen toter Soldaten zusammengesetzten Kreatur ohne Seele und Intellekt. Das Geschöpf nimmt die Zurückweisung durch seinen Schöpfer nicht hin und wendet sich am Ende gegen ihn. Del Toro stellt sein Monster als von der Gesellschaft missverstandene Kreatur und von der Wissenschaft missbrauchtes Opfer dar. Die wahren Monster sind die Schöpfer. Von daher passt auch der deutsche Untertitel „Frankenstein: Nur Monster spielen Gott“ perfekt zu seiner Adaption. 

Kein neuer Boris Karloff

Wie schon die Romanvorlage, so erzählt auch del Toro seine Frankenstein-Version in zwei Kapiteln. Einmal aus der Sicht des egozentrischen Wissenschaftlers und dann aus der Perspektive seines monströsen Geschöpfs, das wegen seiner Unvollkommenheit schon bald das Interesse und die Wertschätzung seines Schöpfers verliert. Tatsächlich besteht Victor Frankensteins Schuld im Film weniger darin, dass er medizinisch-moralische Grenzen überschreitet, als vielmehr darin, dass er sein Geschöpf im Stich lässt und unfähig ist zu jeder Art von väterlicher Zuwendung, wie schon sein eigener Vater einst ihm gegenüber. Mary Shellys Roman „Frankenstein“ entstand in einer Zeit des naiven Fortschrittsglaubens, welcher durch zahlreiche wissenschaftliche Durchbrüche und neue technologische Errungenschaften im 19. Jahrhundert seinen Siegeszug antrat, ohne auf mögliche Gefahren zu achten.

Diese Dialektik der Aufklärung spiegelt sich auch deutlich in der Figur des Doktor Victor Frankenstein wider. Wie schon im Film „Ex-Machina“ (2014) schlüpft Oscar Isaac auch hier sehr passend erneut in die Rolle des genialen, aber auch vom Größenwahn befallenen Wissenschaftlers, der davon besessen ist, neues Leben zu erschaffen und den Schöpfer zu spielen. Der Frauenschwarm Jacob Elordi („Priscilla“) spielt sein Geschöpf, dessen bloße Existenz philosophische Fragen darüber aufwirft, was es wirklich bedeutet, Mensch zu sein und geliebt zu werden.

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Leider fehlt seiner Darstellung jedoch die Ambivalenz und das ikonische Charisma eines Boris Karloff. Zudem lässt sein Kostüm Make-Up den attraktiven Darsteller eher wie ein nettes Alien aus Star Trek aussehen als wie eine entstellte menschliche Kreatur, vor der man Angst bekommen kann. In weiteren prominenten Rollen sind Felix Kammerer („Im Westen nichts Neues“) als William, der Bruder von Victor Frankenstein und die aktuelle Horror-Queen Mia Goth („Pearl“) als seine Verlobte Elisabeth zu sehen. Die hochkarätige Besetzung komplettieren zudem noch die Altstars David Bradley, Charles Dance und Lars Mikkelson. Regie-Genie Del Toro, der neben Tim Burton als Inbegriff einer poetisch-morbiden Bildsprache gilt, nähert sich dem Mythos auf seine ganz eigene Weise und mit spürbarer Empathie für Viktor Frankensteins unglückliches Geschöpf. Die Verfilmung strotzt nur so vor originellen und kreativen Einfällen. Die aufwendigen Kulissen und Kostüme sorgen im Zusammenspiel mit Alexandre Desplats umwerfender Musik für ein visuelles Feuerwerk. Bei Netflix kann man jetzt selbst beurteilen, ob diese Neuschöpfung seinem Schöpfer wirklich gelungen ist. Eine gewisse Offenheit gegenüber dem Genre ist aber vonnöten.


Der Rezensent ist Pfarrer im Erzbistum Köln und schreibt vorwiegend zu Film und Popkultur.

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