Eine solche Anfangssequenz wie in „My Sailor My Love“ von Klaus Härö (Regie) sowie Kirsi Vikman und Jimmy Karlssohn (Drehbuch) hat der Zuschauer sicherlich etliche Male gesehen, so beispielsweise im wunderbaren „The Father“ (2020) von Florian Zeller: Eine Tochter besucht ihren verwitweten Vater, und muss sich zunächst einmal darum kümmern, Ordnung im Haus zu schaffen.
Grace (Catherine Walker) fährt aus der Kleinstadt aufs Land, wo ihr Vater Howard (James Cosmo) in einem ziemlich abgelegenen Haus an der Küste einer irischen Insel allein lebt. Von Anfang an wird deutlich, dass das Verhältnis zwischen Vater und Tochter nicht zum Besten bestellt ist.
Geschichte von neu gefundener Freude
Aufgrund der schwierigen Beziehung und ihrer eigenen Probleme sowohl bei der Arbeit im Krankenhaus als auch in ihrer Ehe mit dem Redakteur Martin (Aidan O’Hare), und weil ihr Vater unter gar keinen Umständen in ein Altersheim will, sucht Grace per Stellenanzeige eine Haushaltshilfe für ihn. Die ruhige, aber auch resolute ältere Annie (Bríd Brennan), deren Tochter im Dorf einen Laden führt, meldet sich. Howard, der seit dem Tod seiner Frau allein im Hause lebt, kann sich nicht an Annies Anwesenheit gewöhnen, und wirft sie unsanft aus dem Haus. Schnell bereut er es, und bittet Annie, zurückzukommen. Bald werden sie nicht nur vertrauter, sondern entwickeln sie Gefühle füreinander.
Howard blüht insbesondere im Kreis von Annies großer Familie wieder auf – eine erste Kostprobe davon hatte der Zuschauer bereits, als Howard bei einer Feier Kindern von seinen Abenteuern als Seemann erzählt. Dies ist jedoch zu viel für Grace: Bei ihr brechen alte Wunden wieder auf.
Klaus Härö erzählt diese Geschichte von neu gefundener Freude, aber auch von wieder auftretenden Verletzungen zwar geradlinig, aber auch auf eine unscheinbare Art. Vieles bleibt unausgesprochen, etwa die schlechte Beziehung Howards zu seinen zwei Söhnen, die lediglich zu seinem Geburtstag kurz auftauchen und von Dingen erzählen, die ihn nicht interessieren.
Eine doppelte Geschichte über die Liebe
Auch die Krankheitsgeschichte Howards, die eine wichtige Rolle spielt, bleibt unausgesprochen und kaum angedeutet. Regisseur Klaus Härö und das Drehbuchautorenduo Kirsi Vikman und Jimmy Karlsson erzählen eine doppelte Geschichte über die Liebe: Auf der einen Seite die Liebe zwischen zwei älteren Menschen, die offensichtlich kein Glück in ihrer ersten Ehe gehabt haben, und nun spät, aber nicht zu spät, das Liebesglück finden.
Auf der anderen Seite steht die schwierige Beziehung von Howard und Grace. Als Seemann war Howard der berühmt-berüchtigte abwesende Vater, der seiner Tochter die Pflege ihrer Mutter aufbürdete. In kurzen Dialogen und vor allem in Gesten wird die Entfremdung zweier Menschen deutlich, die eigentlich einander lieben, es aber nicht zeigen (können).
Dramaturgisch bedeutet dies, dass diese zwei Figuren eine größere Entwicklung durchlaufen als Annie – ihre dramaturgische Funktion besteht darin, Howard und Grace mit der unaufgearbeiteten Vergangenheit zu konfrontieren.
Hervorragende schauspielerische Leistung
Die Stärke von „My Sailor My Love“ liegt in der hervorragenden schauspielerischen Leistung der drei Hauptdarsteller: James Cosmo als mürrischer alter Mann, Bríd Brennan als charmante alte Dame, vor allem aber Catherine Walker als Grace, eine noch komplexere Figur als Howard und Annie. Unabhängig von beruflichen und Eheproblemen muss sie die Beziehung zu ihrem Vater klären, eine Beziehung, die von alten Verletzungen bis hin zu Zurückweisungen reicht. Und dies nicht nur, bevor er Annie kennenlernt – dafür findet der Regisseur ein anschauliches Beispiel in der Art, wie Howard Graces Geburtstagstorte ablehnt –, sondern auch nachdem Howard offenbar mit sich selbst Frieden geschlossen hat.
Dazu kommt auch eine unaufgeregte Inszenierung, an der die Kameraleistung von Robert Nordström großen Anteil hat. Nordström verknüpft großartige Landschaftsbilder der rauen Landschaft auf der irischen Insel Achill Island mit einer ganzen Reihe Szenen in Innenräumen, beides hervorragend komponiert.
In seinem englischsprachigen Regiedebüt erzählt der finnische Regisseur vor einer rauen, aber wunderschönen Landschaft von einem Familiendrama, das aus Verletzungen und Sprachlosigkeit gespeist wird, aber auch von der Möglichkeit, diese Schuld zu überwinden, sowie vom Wunsch nach Vergebung, nach Glück und Liebe. „My Sailor My Love“ handelt somit von universellen menschlichen Empfindungen und Erfahrungen.