Die Gebete zahlreicher Marvel-Fans wurden anscheinend erhört. Mit „Deadpool & Wolverine“ feiert das Marvel Cinematic Universe (MCU) nicht nur das große Aufeinandertreffen von zwei Marvel-Kultfiguren, sondern auch nach zahlreichen Filmflops der Superheldenreihe eine Rückkehr zur kommerziellen und inszenatorischen Form.
Wiederauferstehungen sind für Superhelden Alltag
Von daher verwundert es auch nicht, dass ausgerechnet Madonnas 1989er-Hit „Like a Prayer“ in einer zentralen Szene des neuen und mittlerweile 34. MCU-Films zu hören ist, der wohl wie kaum ein anderer Kinostart von vielen Comicfilm-Fans sehnlichst erwartet wurde - grade weil es der einzige Marvel-Titel ist, der dieses Jahr im Kino erscheint. Der selbsternannte Möchtegern-Marvel-Jesus und Comic-Messias Deadpool (Ryan Reynolds) ist nun nach sechs Jahren Kinoabstinenz - nach „Deadpool“ (2016) und „Deadpool 2“ (2018) - zu seinem dritten Abenteuer auf die große Leinwand zurückgekehrt und hat nebenbei auch noch die Figur des beliebten von Hugh Jackman verkörperten Wolverine buchstäblich von den (Leinwand-)Toten wiederauferstehen lassen.
Hugh Jackman verkörpert Wolverine bereits seit 24 Jahren und spielte diesen Charakter in insgesamt sechs „X-Men“-Filmen und drei eigenen Soloabenteuern. Eigentlich ist er in seinem dritten Soloauftritt „Logan – The Wolverine“ (2017) einen dramatischen Heldentod gestorben und hatte sich damit endgültig von seiner ikonischen Rolle verabschiedet, aber seit dem es im MCU seit einigen Jahren Zeitreisen und zahlreiche Multiversen gibt, scheint nichts mehr unmöglich zu sein und damit leider auch nichts mehr von bleibender Bedeutung und tragischer Konsequenz.
Ein Superheldenfilm ab 16 Jahren
Um Bedeutung geht es vorrangig auch in „Deadpool & Wolverine“. Die beiden (Anti-)Superhelden kämpfen endlich zuerst gegeneinander, dann umeinander und schließlich füreinander - sowie für die Rettung des Universums sowie die Bedeutung ihrer Figuren im MCU. Dabei ist der neue Film nicht wirklich das erste Aufeinandertreffen der beiden gegensätzlichen Figuren, da sie sich schon seit Jahren medial gegenseitig aufziehen und auch im realen Leben Freunde sind. Bereits im Jahr 2009 standen Ryan Reynolds und Hugh Jackman als Deadpool (mit bürgerlichem Namen Wade Wilson) und Wolverine (dessen richtiger Name James Howlett ist), der sich aber auch Logan nennt, in dem 20th-Century Fox-Film „X-Men Orignis: Wolverine“ gemeinsam vor der Kamera. Allerdings hatte Reynolds damalige Deadpool-Figur, sowohl äußerlich wie auch charakterlich, nur wenig mit dem heutigen Schandmaul Deadpool gemeinsam. Seit 2016 darf nun der brutal-zynische Antiheld, wie schon seine Comic-Vorlage aus den 1990er-Jahren, blutig und verbal ordinär im Kino austeilen. Kein Wunder also, dass der Film dadurch in den USA ein R-Rating bekam, was in Deutschland einer Altersfreigabe von 16 Jahren gleichkommt. Die Rechnung ging auf: Beide Deadpool-Filme spielten zusammen über 1,5 Milliarden Dollar an den Kinokassen ein. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis auch ein dritter Teil kommen musste.
Nach der Übernahme von 20th Century Fox durch die Walt Disney Company im Jahr 2019 hatten viele Fans jedoch befürchtet, dass Disney den subversiven Deadpool in einer familienfreundlicheren Fassung auf die Leinwand zurückbringen könnte und ihn damit seines Markenzeichens berauben würde. Doch diese Sorge war unbegründet, denn Disney fährt den Erfolgskurs von Fox weiter. Somit hat auch „Deadpool & Wolverine“ eine Altersfreigabe von 16 Jahren bekommen und Ryan Reynolds darf seine abstrusen und extrem schrägen Ideen genüsslich weiter ausleben: So etwas hat es im familienfreundlichen Marvel Universum noch nicht gegeben, da die 33. Vorgängerfilme alle ab 12 Jahren freigegeben waren.
Eine Zeitreise in die eigene (Film-)Vergangenheit
Doch worum geht es eigentlich in dem neuen Film? Wade Wilson, der sich als Deadpool eigentlich zur Ruhe gesetzt hat, da er bei den Avengers nicht aufgenommen wurde, muss sich plötzlich unter der Führung des zwielichtigen Mr. Paradox (Matthew Macfadyen) mit der Zeitlinien-Agentur Time Variance Authority (TVA) herumschlagen, die in der mit dem Marvel Cinematic Universe verbundenen Disney+-Serie „Loki“ eine große Rolle spielt. Um sein Universum und die Menschen, die er liebt zu retten, muss er folglich die Hilfe einer Wolverine-Variante aus einem anderen Universum in Anspruch nehmen, was ihm mittels eines „Time Rippers“ auch gelingt.
Auf ihrer Heldenreise gelangen die beiden Antihelden schließlich wie einst Bösewicht Loki in die „Vorhölle der TVA, die Leere am Ende der Zeit“, wohin unliebsame und zwielichtige Charaktere entsorgt werden. In dieser Endzeit-Wüsteneinöde, die an die „Mad Max“-Filme erinnert, treffen sie dann auf Cassandra Nova (Emma Corrin), die böse Zwillingsschwester von „X-Men“-Chef Professor Charles Xavier sowie zahlreiche weitere bekannte oder längst vergessene Figuren aus dem „X-Men“-Comic- und Filmuniversum, die in Nebenrollen oder kurzen Cameo-Auftritten auftauchen und für Lacher und Staunen sorgen.
Brutal, aber auch selbstironisch und metapoetisch
Regisseur Shawn Levy, der bereits bei den Filmen „Free Guy“ und „The Adam Project“ mit Ryan Reynolds und bei „Real Steel“ mit Hugh Jackman zusammengearbeitet hat, inszenierte „Deadpool & Wolverine“ als ein politisch inkorrektes, vulgäres, tabubrechendes, blutiges Schlachtfest mit stilisierten Gewaltfantasien, zahlreichen zynischen Dialogen sowie als ein unorthodoxes, sich selbst auf die Schippe nehmendes Fest der filmischen Referenzen und Geschmacklosigkeiten, bei dem vor allem Fans der Reihe auf ihre Kosten kommen dürften.
Daneben hat der Film für seine Zuschauer aber auch einige tiefgründige Lektionen parat: In uns allen steckt oft viel mehr, als wir selbst oder andere uns zutrauen. Zusammen sind wir stärker als allein. Es kommt im Leben nicht so sehr darauf an, wer wir sein wollen, sondern wer wir für andere sein können. Typisch für den Weltenretter Deadpool und seine Filme ist auch, dass er sich immer wieder gern direkt an die Zuschauer wendet. Dieses Durchbrechen der sogenannten „vierten Wand“ zeugt dabei von viel Selbstironie, aber auch einer massiven Respektlosigkeit gegenüber den gesamten filmischen Universen der Superhelden und der gegenwärtigen Pop-Kultur.
Ein Wiedersehen mit alten Comic-Bekannten
Wie bei vielen Marvel-Filmen lohnt es sich auch bei „Deadpool & Wolverine“, beim Abspann noch sitzen zu bleiben, denn er zeigt zahlreiche emotionale und nostalgische „Making Of-Szenen“ aus vielen alten „X-Men“-, „Wolverine“- und „Deadpool“-Filmen, die den Zuschauer dazu verleiten, sich die alten Abenteuer nochmal anschauen zu wollen oder ganz neu für sich zu entdecken.
„Multiversen nerven!“, beklagt sich Deadpool am Ende des Films. Er hat Recht - in diesem Fall aber nicht. Denn diese komplett durchgeknallte Multiversums-Variante macht mächtig Spaß, bietet jede Menge Fan-Service, Meta-Gags im Sekundentakt und ist trotz aller Spitzen auch gegen die eigenen produzierenden Filmstudios Fox, Marvel und Disney ein einziger 127 Minuten langer Liebesbrief an unzählige vergessene und unvergessliche Marvel-Charaktere.
Kann Deadpool das MCU wiederbeleben?
Das neue Traum-Duo Deadpool und Wolverine hat durch seine wunderbare Chemie und unzählige charmant eingebaute Gastauftritte von vermeintlich ausrangierten Marvel-Helden, dem strauchelnden MCU neues Leben eingehaucht. Ob der Marvel-Jesus damit auch das gesamte zukünftige MCU gerettet hat, bleibt jedoch abzuwarten.
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