Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Sci-Fi-Kammerspiel

„A Murder at the End of the World“: Agatha Christie im ewigen Eis

Die auf Island spielende Disney+-Miniserie thematisiert unsere KI- und technikbesessene Gegenwart in Gestalt eines Agatha-Christie-Detektivkrimis.
Serie "A Murder at the End of the World"
Foto: IMAGO/Supplied by LMK (www.imago-images.de) | An Darby (Emma Corrin) liegt es herauszufinden, was vor sich geht. Zwar fehlt ihr das Charisma eines Hercule Poirot, doch ist sie eine versierte Hackerin.

In der Film- und Popkultur sind die Themen Künstliche Intelligenz sowie bedrohliche Mensch-Maschinen jeglicher Couleur schon lange beliebt. Und berühmte Verkörperungen gibt es genügend: die Maschinenfrau in Fritz Langs „Metropolis“ als Werkzeug der kapitalistischen Ausbeutung. HAL-9000, die KI aus Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“, die Raumstationen boykottiert. Oder die in "Blade Runner" und der Fortsetzung "Blade Runner 2049" menschlicher als Menschen agierenden Replikanten sowie die Schreckens-KI Skynet in „Terminator“ als letzter Reiter der Apokalypse. 

Lesen Sie auch:

Der Erfolg von Programmen wie Chat-GPT sowie die gegenwärtig starke Auseinandersetzung in Film und Fernsehen mit außer Kontrolle geratenen digitalen Kontrollfreaks könnte den Eindruck erwecken, dass wir uns kurz vor einem großen Quantensprung befinden. Die Wahrheit ist wohl eine andere – das zeigt uns die US-Miniserie „A Murder at the End of the World“: Ein zu großen Teilen geschickt arrangiertes Sci-Fi-Kammerspiel, verpackt in einen atmosphärischen Whodunit-Krimi in feinster Agatha-Christie-Manier – welches beim Thema KI einen cleveren Zug macht. Und zudem nicht nur ein bisschen unheimlich wirkt – ist das Gezeigte doch bereits Teil unserer Wirklichkeit.

Eine junge Hobby-Detektivin will den Mord an ihrem Ex-Freund aufklären

In der siebenteiligen Serie, die hierzulande bei Disney+ zu sehen ist, geht es um Darby Hart (vielleicht ein bisschen zu gefühlig gespielt von Emma Corrin). Sie ist als Hobby-Detektivin im Internet unterwegs und klärt mit Gleichgesinnten Mordfälle auf. Einer von ihnen: Bill Farrah (Harris Dickinson, bekannt aus dem Cannes-Sieger von 2022, „Triangle of Sadness“), mit dem sich Darby im echten Leben trifft, ins Auto setzt und gewissermaßen „einen auf Bonnie und Clyde macht" – nur, dass sie auf der guten Seite des Gesetzes stehen.

Die Handlung der Serie ist auf zwei Zeitebenen angesiedelt: Der in der Vergangenheit spielende Roadtrip sowie die vielschichtige, konventionelle Rollenbilder in Frage stellende Lovestory von Darby und Bill einerseits – andererseits eine ominöse Zusammenkunft von Hochbegabten in einem zugeschneiten High-Tech-Hotel in der Öde Islands Jahre später, zu dem Elon Musk-Verschnitt Andy Ronson (herrlich frostig: Clive Owen) eingeladen hat. Mittendrin: Darby, die ein True Crime-Buch über ihre Erlebnisse geschrieben hat und Inzwischen-Ex-Freund Bill, der sich als systemkritischer Künstler einen Namen gemacht hat. Am Ende der ersten Folge ist Bill tot. Ermordet. Gestorben an einer Überdosis Morphium. Jetzt liegt es an Darby herauszufinden, was hier vor sich geht. Zwar fehlt ihr das Charisma eines Hercule Poirot, doch ist sie eine versierte Hackerin, und das ist Gold wert in Ronsons technisiertem Bunker – mitsamt der von ihm konstruierten Über-KI Ray, der ein ebenso guter Therapeut wie technischer Assistent ist und Darby als digitaler Dr. Watson zu Seite steht.

Inszenatorisch erfrischend, atmosphärisch dicht

Erfunden haben die Serie Zal Batmanglij und Brit Marling, die als geheimnisvolle Lee Anderson, Ronsons Ehefrau, auch selbst mitspielt. Beide sind Schöpfer der als Kult gehandelten Sci-Fi-Serie „The OA“, die auf Netflix läuft. Neben den beiden Shooting-Stars Corrin, die bald in Robert Eggers’ „Nosferatu“-Neuverfilmung zu sehen sein wird, und Dickinson gesellt sich Marling in „A Murder at the End of the World“ zu einer Handvoll Schauspielern aus Hollywoods zweiter Reihe: Joan Chen, die manchen als Josie Packard in David Lynchs Kultserie „Twin Peaks“ bekannt sein dürfte, genauso wie Alice Braga („I am Legend“) und Raúl Espaza (spielte in der Serie „Hannibal“ mit). Aber auch die deutsch-iranische Schauspielerin Pegah Ferydoni („Türkisch für Anfänger“) ist mit von der Partie - produziert wurde die Serie für den US-amerikanischen Kabelsender FX, der seit der Übernahme 2019 in der Hand von Disney ist.

Besonders stark und ein Grund, warum die Serie atmosphärisch dicht rüberkommt, ist ihr Setting auf Island: Die Massen an Schnee. Das harte Wetter. Und im Kontrast dazu das modernistische Gehäuse von Tech-Milliardär Ronsons High-End-Gebäude mit den breiten Fensterfronten, an denen das isländische Eis kristallisiert sowie das funktionalistisch gestaltete Innere, das zig Untergeschosse in sich birgt. Das Ganze sieht nicht nur cool aus, sondern besitzt einen dramaturgischen Mehrwert: Hier kommt so schnell keiner rein. Hilfe erst recht nicht. Und raus kommt auch keiner. Alle Mörder sind schon da.

Miss Marple Junior bindet die Zuschauer an die Serie

Und trotzdem fühlt es sich wohlig an, wenn Darby im isländischen Nirgendwo weilt: Wenn sie in ihren Kapuzenpulli schlüpft, in ihrem Zimmer den Laptop aufklappt und bei einer dampfenden Tasse Tee im digitalen Äther nach Antworten sucht. In diesen Momenten fühlen wir uns gemeinsam mit ihr sicher und werden blind für die Gefahr, die sich im Bauch des Hotels befindet. 

Lesen Sie auch:

Marling und Batmanglij taten gut daran, als Protagonistin eine junge Frau zu wählen und ihre technische Versiertheit authentisch darzustellen. Keine theatralischen Upload-Symbole, die auf Bildschirmen blinken. Keine abgedroschenen „Matrix“-Animationen, die ein Abtauchen in die DNA des Algorithmus veranschaulichen sollen. Stattdessen Darby, die mit ihren zarten Fingern auf ihren Geräten herumdaddelt, als würde sie durch TikTok scrollen, und wenig Erklärung darüber, warum sie am Ende ihrer Hacking-Session mehr weiß als zuvor. Und das ist gut so.

Nicht jede Idee ist gelungen

Seltsamerweise haben sich unter diese lobenswerten Darstellungen auch solche gemischt, die nicht nur übel aussehen, sondern auch handwerklich übel sind. Als sich Darby zum Beispiel mit Rohan, einem anderen von Ronson eingeladenen Gast, bei einer Expedition im Schnee unterhält, sieht das aus, als würde ein Beamer aus den 1990ern eine mittelprächtig animierte Schneelandschaft auf einen Greenscreen projizieren, der in diesem Augenblick hinter ihnen vorbeigezogen wird. Und auch hätte der Serie manchmal ein wenig mehr Subtilität gutgetan: Ronsons minderjährigen Sohn „Zoomer“ zu nennen etwa lässt einen eher seufzen als schmunzeln (es gibt den Begriff „Zoomer“, der angelehnt ist an Boomer und eine Person meint, die zur Generation Z zählt, also zwischen den späten 1990ern und den frühen 2010ern geboren wurde).

Ein wesentlicher Faktor zur Aufklärung des Mordes (sowie weiterer Folgemorde) in „A Murder at the End of the World“ ist, wie wohl zu erwarten war, das Teamwork zwischen Darby und der künstlichen Intelligenz Ray: „Ray ist kein Orakel, sondern ein Spiegel. Ein Wir ohne Gefühle“, heißt es in der Serie an einer entscheidenden Stelle. In unsere Welt übertragen: KI kreiert nicht, sie imitiert. Alles, was sie tut und wie sie es tut, tut sie, weil wir es bereits selbst getan haben. Und am Ende von „A Murder at the End of the World“ stellt sich (ohne Spoiler) die Frage, ob es ein Versäumnis der Autoren war, dass sowohl die als Miss Marple der Generation Z inszenierte Darby als auch ihr Schöpfer Ronson der KI selbst in ihren Nachforschungen nicht genügend Bedeutung beimessen. 

Ein Krimi, der die KI-Problematik treffend auf den Punkt bringt

Die Antwort: nein, das scheint Absicht zu sein. Denn das Verhalten der beiden umkreist ein aktuelles Phänomen: Wir alle, die Künstliche Intelligenz verwenden, füttern diesie letztendlich nur mit unseren Gedanken, ohne uns wiederum hierüber großartig Gedanken zu machen – nämlich mit guten und mit schlechten. 

Das Ergebnis: Weil Künstliche Intelligenz unsere Gedanken spiegelt und hierdurch unser Selbst zum Vorschein kommt, liegt das wahre Potenzial eben dieser wohl in jener Grauzone, die auch  „A Murder at the End of the World“ auf intelligente Art und Weise aufzeigt: als Feind und Helfer. 

Themen & Autoren
Jonathan Ederer Hannibal Stanley Kubrick

Weitere Artikel

Ein wahrhaft geistreicher Film über Glaube, Unglaube und Aberglaube: In „A Haunting in Venice“ kehrt Kenneth Branagh als Hercule Poirot zurück.
15.09.2023, 16 Uhr
Norbert Fink
In der digitalen Welt gilt: Kein Wort bleibt ungehört, keine Tat ist wirkungslos. Deswegen bedarf es einer Ethik der Digitalisierung.
16.02.2024, 13 Uhr
Thomas Rusche

Kirche

Yannick Schmitz, Referent beim Berliner Vorortspräsidium des Cartellverbandes, sieht gute Gründe dafür, dass der Verband künftig wahrnehmbarer auftritt.
27.04.2024, 13 Uhr
Regina Einig
Das römische Dokument „Dignitas infinita" lädt ein, aus der Fülle der Identität als Erben Christi zu leben, statt eigene Identitäten zu konstruieren. 
26.04.2024, 17 Uhr
Dorothea Schmidt
Die deutschen Bischöfe werden beim Synodalen Ausschuss wohl keine kirchenrechtskonforme Lösung finden. Das Mehrheitsprinzip eröffnet einen rechtsfreien Raum.
25.04.2024, 11 Uhr
Regina Einig