Schon seit September warten die Schoko-Weihnachtsmänner in den Regalen der Supermärkte. Jedes Jahr ist es dasselbe. Man hat sich vom Sommer noch gar nicht richtig verabschiedet, da treten schon die ersten Vorboten der Weihnachtszeit in Erscheinung. Ab dem ersten Advent geht es dann richtig los: Adventskalender, Weihnachtsfeiern bei der Arbeit, im Verein, beim Sport, Weihnachtsmärkte, kulinarische Geschenke für Kollegen, Freunde, Verwandte, Bekannte, für sich selbst. Die Vorweihnachtszeit scheint hauptsächlich vom Geist der Völlerei geprägt zu sein. Die Erinnerung daran, dass die Adventszeit einmal eine Fastenzeit war, scheint im Angesicht des heute üblichen Schlemmertums geradezu abwegig. Im Internet findet man zahllose Ratgeber mit Tipps und Tricks, wie man der Lage Herr werden kann. Es fehlt da nicht an Binsenweisheiten wie: „Mach deinen Teller nicht zu voll.“, oder an vorgefertigten Sprüchen, mit denen man Oma Ernas Versuche, einem das fünfte Stück Kuchen zu servieren, eindämmen kann. Warum haben wir überhaupt den Drang, uns und andere ausgerechnet im Dezember so maßlos vollzustopfen?
Vielleicht liegt es daran, dass die Tage kürzer und die Natur unwirtlicher wird. Die Outdoor-Saison ist vorbei, der Blick wandert nach innen. Hinein in die Häuser, die zwischenmenschlichen Beziehungen, aber auch hinein in das eigene Innere. Und was findet man dort? In einer gottlosen Gesellschaft ist es wohl allzu häufig eine gähnende Leere. Ausgehöhlte Beziehungen und ein unbefriedigtes Herz – ist doch nur in Gott wahre Erfüllung zu finden. Vielleicht fällt deshalb die allgemein anerkannte „Fresszeit“ zusammen mit der ursprünglichen „Besinnungszeit“.
Unstillbares Verlangen nach Kalorien
Möglicherweise ist es nicht der Leib, der nach dem weihnachtlichen Drei-Gänge-Menü noch Hunger hat, sondern die Seele. Kulturanthropologe Gunter Hirschfelder beschrieb 2018 diesen Zusammenhang zwischen der gesellschaftsweiten Sinnkrise, dem Rückgang der Religiosität und der winterlichen Völlerei in einem Interview: „Als Gesellschaft haben wir Angst vor der Zukunft und vor der Gegenwart. Wir sind gefühlt im Krisenmodus, sind aber nicht in der Lage, so viel Krise dauerhaft zu ertragen. Wenn man früher sagen konnte: ‚Es gibt eine frohe Botschaft, Gott hat uns seinen Sohn geschenkt‘, dann haben wir heute auch eine frohe Botschaft, nämlich: ‚Essen ist fertig.‘“ Hirschfelder erklärt, dass sich hier das Wesen einer konsumorientierten Gesellschaft zeigt: Das Verlangen nach mehr ist unstillbar. Er resümiert: „[…] eine religiöse Beschäftigung oder eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Dingen hat ein Sinnangebot, und Konsum hat kein Sinnangebot.“
Was kann man da tun? Wir können unser „zu viel“ spenden, anstatt es hinunterzuschlingen. An einigen Orten hat sich das Prinzip „umgekehrter Adventskalender“ etabliert. Täglich packt man dabei eine Sachspende in einen Karton und gibt ihn zu Weihnachten bei der entsprechenden Organisation ab, zum Beispiel bei der örtlichen Tafel. Solche Konzepte helfen uns dabei, umzudenken und den „Sinn“ in der „Besinnungszeit“ neu zu entdecken.
Die Altertumswissenschaftlerin schreibt zu Kultur und Gesellschaft.
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