So schreibt Cohen in ihrer Feuilleton-Kolumne „Klare Worte“ zu Michel Houellebecq: „Ehemalige Fangirls, Kampfgefährten und Groupies aller Couleur ließen in der Presse und den einschlägigen Social-Media-Kanälen verlauten, dass das Maß nun voll sei. Ich mach Schluss! Vorbei und never ever! Vorgeworfen wurde Houellebecq von den einen, er habe sich um 180-Grad gewendet, was seine Islam-Kritik betrifft, von den anderen wiederum, er sei ein alter, weißer Mann, der fiese Pornos drehe und mit Gérard Depardieu & Co. einen zweifelhaften Umgang pflege. Eine dritte Liga sieht in Houellebecq gar die Verkörperung westlicher Dekadenz und den personifizierten Untergang des Abendlandes.“
Dass der Schriftsteller „von allen Seiten unter Beschuss“ stehe beziehungsweise verfeindete Lager darum ringen, ihn für sich zu vereinnahmen, spricht aus Sicht von Ute Cohen für seine „Bedeutung als intellektuelle Stimme in einem Land, das sich mehr und mehr von Sprechpuppen, Strohmännern und Duckmäusern umgeben wähnt. Solange Texte noch zum Denken anregen und zur Auseinandersetzung mit Vorurteilen und Sehnsüchten stimulieren, ist das Schreiben nicht umsonst“.
Zweifel an der Objektivität der Literaturkritik
Cohen weiter: „Was bedeutet es für die Literatur, wenn sie nur mehr eine Frage von Love and Hate ist? Wohin bewegt sich die Literaturkritik, wenn sie mit Gesinnungswandel und Genreexperimenten nicht umgehen kann? Wie konservativ ist eine Kritik, wenn sie ihren woken Kriterienkatalog abhakt, anstatt nach Referenzen zu suchen? Houellebecq offenbart in seinem Buch eine Verletzlichkeit, die Respekt verdient. Vielleicht aber ist es genau diese Vulnerabilität, die ihm Kritiker derzeit nicht verzeihen.“ DT/mee
Ute Cohen über Michel Houellebecq, der für sein neues Buch in der Kritik steht. Lesen Sie den ganzen Text in der Ausgabe der „Tagespost“ vom 1. Juni.