Fußball lässt uns alle näher zusammenrücken, so könnte man die Schlagzeilen der letzten Wochen bezüglich des jetzt suspendierten spanischen Fußballpräsidenten Luis Rubiales lesen. Bemerkenswert einheitlich fällt die Kritik an Rubiales aus, der die Fußballerin Jennifer Hermoso nach dem Sieg der Spanierinnen bei der Frauen-WM ungefragt auf den Mund küsste. Das ist schön für „Me too“ und heilsam für eine gesellschaftliche Atmosphäre, die die Dinge gern politisiert. Trotzdem müssen übergriffigem Verhalten auch dort Taten folgen, wo es keine Kameras gibt.
Im Netz gibt es ein sogenanntes „Meme“, also ein Bild, das mit verschiedenen Unterschriften und Bedeutungen kursiert: Da bekommt einer eine Medaille umgehängt, beißt darauf, um zu sehen, ob sie echt ist, knutscht die Moderatorin, brüllt mit ausgestreckten Mittelfingern und köpft dann eine Flasche Champagner. Im letzten Bild wird klar, dass er allerdings auf Platz drei des Siegertreppchens steht, und die Gold- und Silbermedaillisten sich völlig normal verhalten.
Wie sollte man dieses Verhalten verteidigen?
Zumindest teilweise lässt sich dies auf Luis Rubiales übertragen, den jetzt suspendierten Präsident des Königlich-spanischen Fußballverbandes, der der Spielerin Jennifer Hermoso einen Kuss aufdrückte und von dem später auch noch Aufnahmen kursierten, wie er sich während des Spiels in den Schritt griff – nur wenige Meter von Königin Letizia entfernt. Das alles sei „in einem Moment der Euphorie“ geschehen, so Rubiales zu seiner Verteidigung – ganz ähnlich wie bei dem oben genannten Bronzemedaillisten.
Dieses Verhalten unsympathisch zu finden, ist nicht besonders schwer: Entsprechend einstimmig ist die mediale Reaktion. Im Gegensatz zu anderen, ähnlichen Fällen geht es nicht um mysteriöse Vorgänge unter Bühnen, die von außen schwer zu beurteilen sind. Die Kameras haben Rubiales „in flagranti“ erwischt. Es ist schön, aber wenig überraschend, dass es jetzt von jeder Seite des politischen Spektrums aus aller Welt Kritik an Rubiales hagelt: Mit welchem Argument sollte man dieses Verhalten auch verteidigen? Rubiales‘ Unterstützer sind in diesem Match gegen die breite Öffentlichkeit in der Unterzahl. Ihre Strategie ist nichts Neues: Man echauffiert sich über „Cancel Culture“ oder „falschen Feminismus“.
Tatsächlich kämpfen Frauen in Spanien, aber auch in Südamerika, gegen genau so eine „Machismo“-Kultur, die um das männliche Ego kreist. Und das auch im spanischen Frauenfußball, wo sich 2022 mehrere Spielerinnen der Nationalelf über den Trainer Jorge Vilda beklagten, mit dem sich Rubiales dann solidarisierte. Auch jetzt wollte Rubiales nicht zurücktreten, sich anscheinend nicht mit der Kritik auseinandersetzen.
Ein Problem, über das Frauen schon lange sprechen wollen
Der Kuss von Rubiales ist wie ein Schlaglicht, das die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ein Problem lenkt, über das Frauen lange sprechen wollten. Sie sind nicht bereit, diese Gelegenheit ungenutzt vergehen zu lassen. Und das ist wichtig: Denn auch wenn jetzt alle die Frauen anfeuern, die im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen, entfalten sich viele ihrer Schicksale abseits des öffentlichen Blicks und der weltweiten Empörung. Immerhin eine Chance und eine Gelegenheit, dass wir als Betrachter in dieser Sache wieder ein Stück weit zusammenrücken. Ein gemeinsamer Gegner kann dem Zusammenhalt eben guttun.
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