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Vor 500 Jahren stand Luther vor Karl V. in Worms

Vor 500 Jahren stand Luther vor Karl V. in Worms, wo er seine Schriften widerrufen sollte. Zu diesem Zeitpunkt war der Augustinermönch bereits zum Tode verurteilt. Seine Thesen nahm er trotzdem nicht zurück - in erster Linie vermutlich, weil er um das Seelenheil der Gläubigen besorgt war.
Das Luther-Tribunal
Foto: Julie Vrabelova (ZDF) | Die Filmszene aus "Das Luther-Tribunal. Zehn Tage im April" im ZDF zeigt Martin Luther (gespielt von Roman Knizka) der 1521 in Worms seine Schriften und Lehren widerrufen soll.

Eine kleine Stadt am Rhein kommt am 16. April in den Blick deutscher Ereignisse, die die Welt vor einem halbem Jahrtausend tief erschüttert haben. Das Datum gilt als nicht weniger wichtig, als die 500-Jahrfeier der Reformation im Jahr 2017. Der historische Auftritt Luthers zeigt aber auch, wie fair und rechtskonform Kirche und Kaiser mit dem Andersdenkenden umgingen.

Im April 1521 tagte in Worms der Reichstag, die Versammlung von Kaiser, Kurfürsten und Herzögen. In den Augen von Kaiser und Papst galt es eine Pandemie zu besiegen, die in Deutschland grassierte: Ungehorsam gegen die römische Weltkirche. Vorgeladen war der Wittenberger Gelehrte Doktor Martin Luther, um am 5. Wochentag nach Misericordias Domini (18.April) ihm vorgelegte etwa 20 Bücher als die seinen anzuerkennen und zu widerrufen. In den Annalen des Kaisers wird Luthers Auftritt beschrieben: 40 Jahre alt, etwas darüber oder darunter, derb von Körperbau und Antlitz. Als Kleidung trug er ein Gewand des Augustinerordens mit einem Ledergürtel. Die Tonsur groß und frisch geschoren. Offensichtlich trägt er sein Doktorbarett, mit dem er oft gezeigt wird, nicht.

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Vermeintlich gehorsamer Auftritt

Demütig und leise soll Luther sowohl in lateinischer Sprache wie in Deutsch gesprochen haben, aber mit „christlicher Herzhaftigkeit und Festigkeit“: „Jesus, Allerdurchlauchtigster Kaiser, Durchlauchtigste Fürsten, gnädigste Herren!“ redet er die Versammelten an. Er erscheine gehorsam an dem gestern gesetzten Termin. Schon am Abend zuvor hatte er einen ersten Auftritt, der mit der Gewährung einer Bedenkzeit bis morgen endete. Nun bekennt er sich als bescheidener Mönch, „der in den Winkeln der Klöster verkehrt ist“, nicht aber mit Kaiser und Fürsten. Seine Bücher – demonstrativ auf einer Bank aufgestapelt – seien nützlich und fromm. Selbst seine Feinde würden das anerkennen. Anders verhalte es sich mit den Schriften zum Papsttum. Das Gewissen der Gläubigen werde durch päpstliche Gesetze und menschliche Lehren völlig angefochten. Falls es Irrtümer in seiner Lehre gebe, solle man ihm diese nachweisen. Gründlich belehrt, werde er der Erste sein, der seine Bücher ins Feuer werfe.

Doch nun wendet der Orator des Kaisers ein, Luther habe nicht zu den Lehren der Konzilien gesprochen, zu Verdammnis und Ermahnung. Man erwarte umgehend eine „einfache ungehörnte“ Antwort, ob er widerrufen wolle oder nicht. Doch der Wittenberger Mönch beließ es nicht bei einem Ja zu seinen Büchern oder einem Nein. Sein Gewissen sei durch das Wort Gottes gebunden und deshalb könne er nicht etwas widerrufen, „denn es ist unsicher und bedroht die Seligkeit, etwas gegen das Gewissen zu tun“. Und dann folgte der Satz für die Geschichtsbücher: „Ich kann nicht anders, hier stehe ich, Gott helf mir, Amen.“ Wobei es nicht verbürgt ist, ob Luther nur das Gott helfe mir, Amen gebraucht hat.

Bereits zum Tode verurteilt

Die Luthersache in Worms hätte eigentlich gar nicht stattfinden dürfen. Denn nach der Wahl des Spaniers Karl V. zum Kaiser 1519 war der Wittenberger im Sommer 1520 als Ketzer bereits verurteilt. Der weltlichen Vollstreckung des Todesurteils stand nichts mehr im Wege. Allerdings hatten die Fürsten sich ausbedungen, dass niemand ohne ein Verhör mit der „Reichsacht“ belegt werden durfte. Wollten die deutschen Fürsten damit eigentlich nur sich selbst schützen, so galt der Rechtsgrund doch für alle und musste auch auf Luther Anwendung finden. Darauf bestand der sächsische Kurfürst.

Allein die päpstliche Kurie war anderer Ansicht, nannte ihn einen notorischen, unverbesserlichen Ketzer, der nach Kirchen- und Reichsrecht abgeurteilt werden müsse. „Viel Böses und Übles, Aufruhr und Empörung habe Martini Luther eingeführt“, schrieb der päpstliche Nuntius Hieronymus Aleander. Für den Kaiser war die Sache Luthers ein deutsches Ereignis. Doch er unterschätzte wohl, dass Luthers Aufruf zur Reformation der Kirche nicht nur von Theologen zur Kenntnis genommen wurde, sondern die Papst- und Kirchenkritik schon hinunter zum gemeinen Mann gedrungen war.

Öffentliche Meinung für Vorladung entscheidend

Deshalb darf nun nicht unterschätzt werden, wie mächtig doch die öffentliche Meinung für die Vorladung Luthers gewesen ist. Hatte er schon bei seiner Hinreise an den Rhein in zahlreichen Städten Menschen auf die Straße gebracht, so war das Gedränge bei der Reichsversammlung in Worms noch größer. Man wollte den Mann mit eigenen Augen sehen, der es wagte, sich gegen Rom zu stellen. Trotz zahlreicher Warnungen war Luther unerschrocken über Leipzig, Naumburg, Weimar, Erfurt, Eisenach und Frankfurt nach Worms gezogen. Fast überall hat der Professor in völlig überfüllten Kirchen gepredigt.

Am 16. April gegen zehn Uhr zog Luther und seine Gefolgschaft wohl durch das Mainzer Tor in Worms ein, wenn dort auch „so viele Teufel in der Stadt wären wie Ziegel auf den Dächern“, soll er gesagt haben. 2 000 Menschen drängten auf die Gassen, um bei dem Schauspiel dabei zu sein: Vorneweg ritt der Reichsherold samt Diener und dann kam das Wittenberger Gefährt. Trompeten vom Dom meldeten seine Ankunft im Johanniterhof an der Kämmergasse.

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Allgemeiner Unmut der Bevölkerung gegen den Papst

Zuerst hatte man Luther  – um allzu großen Aufruhr zu meiden – im kaiserlichen Palast oder im Quartier des sächsischen Kurfürsten Friedrich dem Weisen unterbringen wollen, aber das scheiterte am fehlenden Platz. Nun stellten sich schon die ersten Besucher ein. Grafen und Fürsten. Zu den ersten zählte der junge Landgraf Philipp von Hessen, der später couragiert die Reformation in seinen Landen einführte. Der Unmut unter der Bevölkerung gegen den Papst muss allgemein groß gewesen sein. Denn die Berichte über die moralischen Zustände im Vatikan warfen kein gutes Licht auf die allein selig machende Kirche. Der Ablasshandel – und hier der sogenannte „Peterspfennig“ zur Finanzierung des Baus des Petersdoms – entwickelte sich zu einer Last für die Gläubigen. Ob etwas wahr oder falsch in der christlichen Lehre sei, könne nicht mit staatlicher oder kirchlicher Gewalt entschieden werden, sondern nur aufgrund der Bibel. Diese neue Überzeugung ließ den Mönch in den Augen der Menschen zu einer charismatischen Gestalt werden. „Roma locuta - causa non finita“ – Rom hatte zwar den Bann über Luther verhängt, aber die Sache war keineswegs beendet.

In Darstellungen der Reformation wird immer wieder gefragt, aus welchen Beweggründen Martin Luther sich in die Auseinandersetzung mit der Kirche Roms begeben habe. Stand seine Erkundung der Heiligen Schrift am Anfang, seine Alltagserfahrungen als Augustinermönch oder wurde er zu einem Spielball der Politik im Deutschen Reich? Sicher ist, das Gewissen hat im ausgehenden Mittelalter für den Einzelnen eine wichtige Rolle im Alltag gespielt. Aber ist das Gewissen schon die höchste Entscheidungsinstanz, vor die sich das Individuum gestellt sieht? So hat die Geschichtswissenschaft das Wormser Ereignis gerne gesehen. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ wurde zum Grundsatz der Gewissensfreiheit.

Motivation war das Seelenheil der Gläubigen

Allerdings gilt ein solches Verständnis eher für die Aufklärung, denn als Lockruf der Reformation. Für den mittelalterlichen Theologen war das Gewissen nicht frei, frei von allen Bindungen, denn die bestanden doch gerade darin, an das Wort der Kirche, Dogmen oder an das kanonische Recht gebunden zu sein. Das Gewissen ist nicht die unüberhörbare Stimme Gottes im Menschen. Es kann allein durch Gottes Macht befreit werden wie Heiko A. Oberman in seinem Lutherbuch ausgeführt hat. Luther lenkt den Blick von der Selbstheiligung des Menschen durch die Kirche auf dessen Rechtfertigung allein durch Gott. Das Gewissen richtet sich auf den Nächsten, seine Not oder Heil. Deshalb sah Luther in Worms sein Gewissen an Gottes Wort gebunden, um das Seelenheil der Gläubigen muss es ihm vordringlich gegangen sein.

Die Abreise Luthers erfolgt am 26. April, dem sechsten Wochentag nach Jubilate. Gegen 10 Uhr vormittags sei er nach einem Frühstück abgefahren. Der kaiserliche Diplomat Aleander gab sich ob des ungebeugten Mönches allerdings zornig. Denn in seinen Augen war nichts erreicht. Er musste ihn unter kaiserlich freiem Geleit ziehen lassen: „So ist denn der ehrwürdige Schurke gestern drei Stunden vor Mittag mit zwei Wagen abgereist, nachdem er sich eigenhändig in Gegenwart vieler Personen viele Brotschnitten geröstet und manches Glas Malvasier, den er außerordentlich liebt, getrunken hatte.“

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