Zum emotionalen Höhepunkt seines aktuellen Aufenthalts in Griechenland geriet am Sonntag der Besuch von Papst Franziskus in der Hafenstadt Mytilini auf der Insel Lesbos. Während die griechische Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou und der aus Griechenland stammende EU-Kommissar Margaritis Schinas bereits auf ihr warteten, widmete sich der Papst lange den Flüchtlingen, tätschelte Kinder, blieb immer wieder stehen, um zuzuhören. Ein Mädchen küsste dem Papst die Hand, andere umarmten ihn, manche klatschen oder riefen „Papa, Papa“.
In seiner Ansprache fasste der Papst seine Zeichenhandlung in Worte: „Ich bin hier, um euch zu sagen, dass ich euch nahe bin, um euch in die Augen zu sehen, in Augen, die Gewalt und Armut gesehen haben, die gerötet sind vom Weinen.“ Franziskus zitierte den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios mit den Worten, Migration sei nicht ein regionales, sondern ein weltweites Problem. „Nur eine mit den Schwächsten versöhnte Zukunft wird ertragreich sein“, sagte der Papst, der „Abkapselungen und Nationalismen“ deutlich zurückwies. „Das ständige Abwälzen von Verantwortung muss aufhören!“, forderte Franziskus.
Eine Epoche der Mauern und des Stacheldrahts
Seit seinem Besuch auf Lesbos vor fünf Jahren habe sich in der Migrationsfrage wenig verändert, bedauerte der Papst und warb dafür, die Würde jedes Menschen allem anderen voranzustellen. Wörtlich sagte Franziskus: „Wir leben in einer Epoche der Mauern und des Stacheldrahts.“ Ängste, Müdigkeit und Frustration seien verständlich, aber durch Zäune lasse sich kein Problem lösen. Vielmehr gelte es, einzutauchen in die Probleme der Mehrheit der Menschen. Gegen jeden Populismus meinte er, es sei leicht, die öffentliche Meinung durch Angst mitzureißen, doch müsse man stattdessen den Waffenhandel und die Ausbeutung als Ursachen von Ungerechtigkeit und Migration anprangern.
Papst Franziskus rief dazu auf, Ghettoisierungen zu überwinden und Integration zu fördern. „Wenn wir neu anfangen wollen, müssen wir in die Gesichter der Kinder schauen. Sie fragen uns: Welche Welt wollt ihr uns geben?“ Das Mittelmeer sei zu einem kalten Friedhof ohne Grabsteine geworden. „Lasst uns diesen Schiffbruch der Zivilisation stoppen!“, forderte Franziskus. Jeder beleidige Gott, der den nach seinem Abbild geschaffenen Menschen beleidigt. Der Glaube fordere Mitleid und Barmherzigkeit. Gleichzeitig dankte der Papst dem griechischen Volk für die Großzügigkeit bei der Aufnahme von Migranten.
Politische Instrumentalisierung der Migranten
Griechenlands Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou erinnerte in ihrer Rede an den Papst auf Lesbos daran, dass Griechenland in der Migrationskrise eine überdurchschnittliche Last trage. Wie am Tag zuvor der Erzbischof von Athen, Hieronymos II., prangerte auch die Präsidentin die Instrumentalisierung der Migranten durch andere Staaten an. Im Gegensatz zu Hieronymos allerdings ohne die Türkei dabei namentlich zu nennen. DT/sba
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