Zeitenwende auch in der Kirche: „Wir sind hier, um den Beistand des Heiligen Geistes zu erflehen, damit der Papst gewählt wird, den die Kirche und die Menschheit an diesem schwierigen und komplexen Wendepunkt der Geschichte benötigen.“
Mit diesen Worten hat Kardinaldekan Giovanni Battista Re am Mittwochvormittag seine Predigt in der Messe „pro eligendo Romano Pontefice“ begonnen. Ein Petersplatz unter leicht bewölktem Himmel, umlagert von Tausenden von Medienleuten aus allen Teilen der Welt, noch ist der Rummel um die Papstwahl ein reines Medienereignis. Der Petersdom ist gut gefüllt, platzt aber nicht aus allen Nähten. Vorne am Bernini-Altar die in Rom versammelten Kardinäle. Es sind viele – allein der Einzug in die Basilika dauert eine Viertelstunde. Einer von ihnen wird es sein, der bald auch die vor der Loggia der Vatikanbasilika zusammengeströmten Menschen als Papst begrüßen wird.
Mit einer Haltung des Gebets ins Konklave
Der 91-jährige Kardinal will seinen unter 80-jährigen Brüdern in die Sixtinische Kapelle mitgeben, was das Wichtigste bei den Generalkongregationen der vorangegangenen Tage war. Re fordert die Papstwähler zunächst auf, in einer Haltung des Gebets in das Konklave zu ziehen: Das Gebet unter Anrufung des Heiligen Geistes sei die einzig richtige und gebotene Haltung, „während sich die wahlberechtigten Kardinäle auf einen Vorgang von höchster menschlicher und kirchlicher Verantwortung vorbereiten, auf eine Entscheidung von herausragender Bedeutung“.
Alle „persönlichen Erwägungen“ müssten zurückgestellt werden, die Papstwahl sei ein Akt, unterstreicht der Kardinal, „bei der man nur den Gott Jesu Christi sowie das Wohl der Kirche und der Menschheit im Sinn und im Herzen haben darf“.
Dann die Liebe als zweite unverzichtbare Haltung: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine
Freunde hingibt“, zitiert Re aus dem Johannes-Evangelium. Die Liebe, die Jesus offenbart habe, kenne keine Grenzen und müsse das Denken und Handeln all seiner Jünger kennzeichnen, die in ihrem Verhalten stets echte Liebe zeigen und sich für den Aufbau jener neuen Zivilisation einsetzen müssten, die Paul VI. „Zivilisation der Liebe“ genannt habe. „Liebe ist die einzige Kraft, die in der Lage ist, die Welt zu verändern“, sagt der Kardinaldekan mit fester Stimme. Die grundlegende Eigenschaft der Hirten sei „die Liebe bis zur völligen Selbsthingabe“.
Re betont Gemeinschaft und Einheit
Zwei Aufgaben des kommenden Papstes hebt der Kardinal hervor: die Gemeinschaft und die Einheit. „Zu den Aufgaben eines jeden Nachfolgers Petri gehört es, die Gemeinschaft zu festigen: die Gemeinschaft aller Christen mit Christus, die Gemeinschaft der Bischöfe mit dem Papst; die Gemeinschaft der Bischöfe untereinander. Keine selbstbezogene Gemeinschaft, sondern eine, die ganz auf die Gemeinschaft zwischen Menschen, Völkern und Kulturen ausgerichtet ist und der es am Herzen liegt, dass die Kirche stets eine Wohnstatt und eine Schule der Gemeinschaft ist.“ Und die Einheit, so Re weiter, sei ein sehr eindringlicher Auftrag, den Christus den Aposteln erteilt habe. Sie bedeute nicht Gleichförmigkeit, „sondern eine feste und tiefe Gemeinschaft in der Verschiedenheit, solange man dem Evangelium ganz treu bleibt“.
„Die Wahl des neuen Papstes ist nicht nur ein einfacher Wechsel von Personen, sondern es ist stets der Apostel Petrus, der zurückkehrt.“ Es war, als wolle der Kardinal auf den Felsen zurückführen, auf dem Christus auf Erden die Kirche gebaut habe. Mit dem „Extra omnes“ würde sich am Nachmittag hinter den Kardinälen die Tür zur Sixtinischen Kapelle schließen, vor ihnen das Fresko Michelangelos zum Jüngste Gericht. Diese Darstellung, sagte Re, solle jedem Einzelnen die Größe der Verantwortung vergegenwärtigen, die „erhabensten Schlüssel“, wie Dante sie nannte, in die richtigen Hände zu legen.
„Beten wir“, bat der Kardinal, „dass Gott der Kirche den Papst gebe, der es am besten vermag, die Gewissen aller wie auch die moralischen und spirituellen Kräfte in der modernen Gesellschaft zu wecken, die von großem technologischen Fortschritt geprägt ist, aber dazu neigt, Gott zu vergessen.“ Die heutige Welt erwarte viel von der Kirche im Hinblick auf „die Bewahrung jener grundlegenden menschlichen und geistlichen Werte, ohne die das Zusammenleben der Menschen weder besser noch für künftige Generationen zuträglich sein wird“.
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