Zeitgleich mit der zu Ende gehenden römischen Bischofssynode hat der Vatikan heute die vierte Enzyklika von Papst Franziskus veröffentlicht. Sie trägt den Titel „Dilexit nos“ (Er hat uns geliebt) und behandelt „die menschliche und göttliche Liebe des Herzens Jesu Christi“.
Anlass sind die Erscheinungen der heiligen Margareta Maria Alacoque in Paray-le-Monial, die zwischen Ende Dezember 1673 und Juni 1675 stattfanden. Bei der Ankündigung der Enzyklika am Ende der Generalaudienz vom vergangenen 5. Juni hatte der Papst erklärt, dass es helfen würde, über jene Aspekte der Liebe Jesu Christi nachzudenken, „die den Weg der kirchlichen Erneuerung erhellen können; aber auch, die einer Welt, die ihr Herz verloren zu haben scheint, etwas Sinnvolles sagen können“.
Das Lehrschreiben erscheint jetzt, während der Feierlichkeiten zum 350. Jahrestag der ersten Christus-Vision der heiligen Margareta Maria Alacoque im Jahr 1673, die am 27. Juni 2025 enden werden. Den Kern der Botschaft, die die Heilige damals hörte, fasste diese selbst so zusammen: „Seht das Herz, das die Menschen so sehr liebt und das nichts scheut bis zur Erschöpfung und zum Verzehr, um ihnen seine Liebe zu bezeugen.“
Die Welt hat das Herz verloren
Nach der ersten Enzyklika „Lumen fidei“ (Licht des Glaubens) von 2013, die in weiten Teilen noch von Papst Benedikt XVI. vorbereitet worden war, hatte Franziskus die beiden Sozialenzykliken „Laudato sì“ (Gelobt seist du, mein Herr, 2013) und „Fratelli tutti“ (Ihr Brüder alle, 2015) herausgegeben, die auch soziale Fragen und den Umgang mit der Schöpfung thematisierten.
Auch „Dilexit nos“ hat einen starken Bezug zur heutigen Zeit. Franziskus bittet darum, dass die Menschen von heute durch die Begegnung mit der Liebe Christi „fähig werden, brüderliche Bande zu knüpfen, die Würde eines jeden Menschen anzuerkennen und uns gemeinsam um unser gemeinsames Haus zu kümmern“. Vor dem Herzen Christi bittet er Gott, „sich erneut dieser verwundeten Erde zu erbarmen“, die Schätze seines Lichts und seiner Liebe über sie auszugießen, damit die Welt, die inmitten von Kriegen, sozioökonomischen Ungleichgewichten, Konsumismus und dem menschenfeindlichen Einsatz von Technologie lebe, „das Wichtigste und Notwendigste wiederfindet: das Herz“. Durch die Begegnung mit der Liebe Christi werde man fähig, „brüderliche Bande zu knüpfen, die Würde eines jeden Menschen anzuerkennen und uns gemeinsam um unser gemeinsames Haus zu kümmern“.
Die personale Mitte des Menschen
Zu Beginn des Schreibens weist der Papst darauf hin, dass die gegenwärtige Abwertung des Herzens auf den griechischen und vorchristlichen Rationalismus, den nachchristlichen Idealismus und den Materialismus zurückgehe, so dass in der Philosophie Begriffe wie Vernunft, Wille oder Freiheit bevorzugt worden sei. Und da man keinen Platz für das Herz gefunden habe, sei das personale Zentrum eines jeden Menschen in den Wissenschaften nicht weiter herausgearbeitet worden.
Dennoch müsse man anerkennen, „dass ich letztlich mein Herz bin, denn es ist das, was mich ausmacht, was mich in meiner geistigen Identität prägt und mich mit den anderen Menschen verbindet“. Das Herz vereine die Fragmente und ermögliche jede echte Bindung, denn eine Beziehung, die nicht mit dem Herzen aufgebaut sei, sei nicht in der Lage, die Zersplitterung des Individualismus zu überwinden. Die Spiritualität von Heiligen wie Ignatius von Loyola (die Freundschaft des Herrn anzunehmen ist eine Herzensangelegenheit) und dem heiligen John Henry Newman (der Herr rettet uns, indem er aus seinem heiligen Herzen zu unserem Herzen spricht) lehre uns, so Franziskus, dass vor dem Herzen Jesu, das lebendig und gegenwärtig sei, unser vom Geist erleuchteter Verstand die Worte Jesu verstehen könne. Und das habe soziale Konsequenzen, denn die Welt könne sich „vom Herzen her“ verändern. DT/gho
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