Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Christian Spaemann zum Rosenkranz

„Ein sicheres Seil, mit dem man sich durchs Leben hangelt“

Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Christian Spaemann, über die beruhigende Wirkung des Rosenkranzes – und das Verbindende mit spirituellen Mantras und Meditation.
Christian Spaemann im Interview zum Rosenkranz
Foto: IMAGO/ALESSIA GIULIANI (www.imago-images.de) | „Der Rosenkranz führt einen in die Kontemplation", meint Christian Spaemann im Interview.

Im Dezember 2024 hat man eine Studie zu Religion, Spiritualität und der positiven Auswirkung des Rosenkranzgebetes auf die Psyche und die Physis des Betenden durchgeführt.  Es existieren zwar viele Studien in diesen Zusammenhängen, schwerpunktmäßig aber bislang zu fernöstlichen Meditationstechniken. Tatsächlich berichten die Rosenkranzbeter von Zuständen, die auch bei Atemübungen festzustellen sind: Der Atem wird tiefer und gleichmäßiger, der Körper beruhigt und entspannt sich.

Herr Spaemann, hat man dem Rosenkranz bisher zu wenig Beachtung geschenkt? Begrüßen Sie diese Studien, und was sagen Sie als Psychologe dazu?

Studien hin oder her. Wenn ich heutzutage behaupte, dass im Mai die Apfelbäume blühen, dann werde ich nach Studienbelegen gefragt… Aber Spaß beiseite, natürlich entspannen wir Menschen uns angenehm, wenn wir zur Ruhe kommen, und dabei können natürlich Wörter, die wir als sinnvoll erleben, helfen. Sie führen uns in die Ruhe, in die Meditation. Das können Mantras sein oder auch der Rosenkranz. Was aber beruhigt uns nachhaltig? Meiner Erfahrung nach ist das die Liebe. Bereits der Säugling wird durch Liebe beruhigt. Um Liebe wirklich zu erfahren, um sie innerlich aufnehmen zu können, müssen wir natürlich ruhig werden und uns auf unsere Nächsten einlassen. Das ist also ein Kreislauf.

Lesen Sie auch:

Worin unterscheidet sich das gesammelte meditative Gebet des Rosenkranzes von, sagen wir, einfachen Atemübungen oder Yogapraxis?

Die Liebe können wir natürlich im Rosenkranz auf eine ganz andere Weise erfahren als bei den eher unpersönlichen Mantras. Es geht um eine Öffnung des Herzens zur Mutter im Himmel. Davon sind wir allerdings in der westlichen Welt im Allgemeinen ziemlich weit weg. Durch allerlei Halbbildung sind wir gegenüber allem, was mit dem unmittelbaren Leben und mit Liebe zu tun hat, ziemlich ambivalent geworden. Um uns dem Rosenkranz zu öffnen, müssten wir zuerst einmal glauben, dass die Mutter von Jesus tatsächlich auch unsere Mutter ist, und daran, dass sie gegenwärtig ist und ein offenes Herz für uns hat. Mit solchen Konkretheiten tut sich wohl manch ein Inder mit seiner Göttin leichter als wir -- aber unterschätzen wir dabei auch nicht die Mexikaner mit der Muttergottes von Guadalupe. Doch auch bei uns tut sich meiner Beobachtung nach etwas. Ich habe meine Praxis im Innviertel in Oberösterreich. Da fahren die Pilgerbusse pausenlos nach Medjugorje. Bauern und Fabrikarbeiter beginnen, bei der Mutter im Himmel Trost, Ruhe und Freude zu finden. 

"Um uns dem Rosenkranz zu öffnen, müssten wir
zuerst einmal glauben, dass die Mutter von Jesus tatsächlich
auch unsere Mutter ist, und daran, dass sie
gegenwärtig ist und ein offenes Herz für uns hat"

Gibt es auch Verbindendes zwischen dem Rosenkranz und den anderen Religionen?

Absolut! Die Gebetskette gibt es in allen großen Religionen. Die rhythmische Wiederholung scheint ein spirituelles Grundgesetz im Menschen zu berühren und erinnert ein wenig an den Herzschlag der Mutter, den wir bereits vor der Geburt gehört haben. Hier wird bereits eine Art Transzendenzerfahrung grundgelegt. Beim christlichen Glauben geht es im Wesentlichen um die durch Christus vermittelte und vom Heiligen Geist in uns angeregte Entfaltung von Gotteserkenntnis, Gottesbewusstsein und letztlich um die Vertrautheit mit Gott, dem Konkreten schlechthin. Das schließt die psychologischen Ebenen der östlichen Meditation und Mantras mit ein.

Christian Spaemann
Foto: privat | Christian Spaemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie.

In der Praxis wird der Rosenkranz sowohl allein als auch in Gemeinschaft gebetet – könnte man sagen, dass er ein sehr soziales Gebet ist – im Vergleich zum Beispiel zu einer Zen-Meditation?

Die Beziehung zu Gott, sei es direkt oder zur himmlischen Mutter schließt im gewissen Sinne immer die soziale Ebene mit ein. Was passiert, wenn wir unser Herz dem Himmel öffnen? Sofort sind unsere Angehörigen und Freunde, natürlich besonders die, die Probleme haben und leiden, mit dabei und werden zu unserem tiefsten Herzensanliegen. Ob wir in Gemeinschaft beten oder alleine, beides befruchtet sich gegenseitig.

Haben Sie eine persönliche Affinität zu dieser Gebetsform? Was können Sie jemandem raten, der eher wenig Zugang dazu hat?

Ich habe den Rosenkranz in meiner Pubertätszeit entdeckt und ihn immer irgendwie durchgezogen, durch Dick und Dünn, durch Hochs und Tiefs. Man hat da wirklich ein sicheres Seil, mit dem man sich durch das Leben hangeln kann. Wallfahrtsorte wie Lourdes oder Medjugorje, mit übrigens gleicher Qualität der Ekstasen der jeweiligen Seher, können einem dann tatsächlich die Realität der Muttergottes vor Augen führen. Die Seher sehen die Muttergottes nur im Dienst für uns alle. Sie sind nicht bevorzugte Wesen. Maria ist uns gegenüber genauso gegenwärtig wie der Bernadette in Lourdes, nur können wir sie nicht optisch sehen, dafür aber mit unserem Bewusstsein und unserem Herzen. So betrachtet wird der Rosenkranz gegenüber der Muttergottes immer persönlicher, er führt uns schließlich zu innerem Frieden und Freude, die selbst in tiefem Leid noch spürbar sein können.

"Ich habe den Rosenkranz in meiner Pubertätszeit
entdeckt und ihn immer irgendwie durchgezogen,
durch Dick und Dünn, durch Hochs und Tiefs"

In den vorliegenden Studien ist zumeist die Rede davon, welche Auswirkungen sich auf Körper und Psyche des Individuums ergeben beziehungsweise einander bedingen. Gibt es in Bezug auf den Rosenkranz nicht noch etwas darüber hinaus?

Das aufrichtige christliche Gebet bleibt nie in der Immanenz von Körper und Psyche stecken. Wenn wir auch nur einen winzigen Bruchteil an Bewusstsein dafür entwickeln könnten, dass jeder von uns von Ewigkeit her gewollt ist, aus Liebe erschaffen wurde, und dazu berufen ist, sich mit dem ewigen Gott zu vereinigen; wenn uns bewusst wäre, dass wir keine Angst vor dem Tod haben müssen und im Sterben in die andere Welt hinüberwechseln wie von einem Zimmer ins andere, dann würden wir vor Freude platzen. An diesen winzigen Bruchteil kommen wir nur über die Stille heran. Der Rosenkranz führt einen in die Kontemplation. Pater Kentenich hat einmal gesagt, dass wir in dem Augenblick, in dem wir wirklich anfangen würden zu beten, sterben müssten. Unser Glaube beginnt im alten Israel mit der Aufforderung, Gott von ganzem Herzen zu lieben. Und was die Meditation anbelangt, berührt mich immer wieder die Erfahrung des Psalmisten: „Ich ließ meine Seele ruhig werden und still; wie ein kleines Kind bei der Mutter ist meine Seele still in mir. Israel, harre auf den Herrn von nun an bis in Ewigkeit! Psalm 131,2-3.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Barbara Wenz Gott Jesus Christus Lourdes

Weitere Artikel

In der Region Québec, an der rauen Küste von Kap Crow, erwartet die Besucher ein besonderes Marienheiligtum: ein kanadisches Lourdes
25.11.2025, 13 Uhr
Andreas Drouve
Ein Gespräch mit dem Franziskaner Lluís Oviedo über die Alleinstellungsmerkmale eines traditionellen katholischen Gebets und das Scheitern der Theologie.
31.05.2025, 07 Uhr
Regina Einig

Kirche

Nirgendwo in der arabischen Welt spielen die Christen eine größere gesellschaftliche und politische Rolle als im Libanon.
30.11.2025, 13 Uhr
Stephan Baier
Patriarch Bartholomaios benennt das „Filioque“ und die päpstliche Unfehlbarkeit als Hindernisse im Streben nach der Einheit von Orthodoxie und katholischer Kirche.
30.11.2025, 11 Uhr
Meldung
Das Jubiläumstreffen von Nicäa sei „ein geistlicher Wendepunkt in der Geschichte des Christentums“, meint der Armenisch-Apostolische Patriarch von Istanbul, Sahag II.
30.11.2025, 10 Uhr
Stephan Baier
Wenn der Römer mit einem Kurialen essen geht, dauert es nicht lange und man ventiliert, was hinter den heiligen Mauen vor sich geht.
30.11.2025, 05 Uhr
Mario Monte